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Exodus Page 6


  Er überlegte alles sorgfältig und beschloß, seine Entdeckung für sich zu behalten. Sie war eine alte Frau; er hielt es nicht für richtig, sie an Dinge zu erinnern, die sich vor mehr als fünfzig Jahren ereignet hatten. Es schien ihm das Beste, stillschweigend darüber hinwegzugehen.

  Im Alter von fünfundsiebzig Jahren lag Deborah Sutherland im Sterben. Bruce kam gerade noch rechtzeitig nach England zurück. Die alte Frau lächelte, als sie ihren Sohn an ihrem Bett sitzen sah. »Du bist jetzt Oberstleutnant — gut siehst du aus. Höre, Bruce — ich habe nicht mehr sehr viele Stunden zu leben —.«

  »Still, Mutter! Du wirst sehr bald wieder gesund und auf sein.« »Nein, mein Sohn, ich muß dir etwas sagen. Ich wünschte mir so, deinen Vater zu heiraten. Ich wollte so gern — so sehr gern die Herrin von Sutherland-Heights werden. Bruce, ich habe etwas Entsetzliches getan. Ich habe die Meinen verleugnet. Ich verleugnete sie im Leben. Jetzt möchte ich mit ihnen zusammen sein. Versprich mir, daß ich dort begraben werde, wo meine Eltern liegen —.«

  »Ich verspreche es dir, Mutter.«

  »Mein Vater — dein Großvater, du hast ihn nie gekannt. Als ich — als ich klein war, nahm er mich oft auf den Schoß und sagte zu mir — wach auf, Deborah, wach auf, wach auf —.«

  Das waren ihre letzten Worte.

  Bruce Sutherland saß lange am Bett seiner toten Mutter, betäubt vor Schmerz. Doch allmählich begann die Betäubung von ihm zu weichen, und er spürte einen brennenden Zweifel, der sich nicht unterdrücken ließ. War er wirklich gebunden an ein Versprechen, das er einer Sterbenden gegeben hatte? Das er ihr hatte geben müssen? Würde er, wenn er es nicht erfüllte, gegen den Ehrenkodex verstoßen, nach dem er stets gelebt hatte? War es nicht wirklich so, daß Deborah Sutherlands Geist im Lauf der vergangenen Jahre Stück für Stück von ihr gegangen war? Sie war im Leben nie Jüdin gewesen, warum sollte sie im Tode eine sein. Deborah war eine Sutherland gewesen und sonst nichts.

  Was würde es für einen entsetzlichen Skandal geben, wenn er gezwungen sein sollte, sie auf einem verfallenden jüdischen Friedhof in einem Londoner Armenviertel begraben zu lassen. Mutter war tot. Die Lebenden — Neddie, Albert und Martha, die Familie seiner Schwester Mary und sein Bruder Adam — würden dadurch zutiefst verletzt werden. Das Recht der Lebenden ging vor.

  Als er seine Mutter zum Abschied küßte und ihr Zimmer verließ, hatte er seinen Entschluß gefaßt.

  Deborah wurde in Sutherland-Heights in der Familiengruft beigesetzt.

  Die Sirenen! Die Sirenen der Wagenkolonne mit den jüdischen Flüchtlingen! Ihr Geheul wurde lauter und lauter, bis es ihm in den Ohren dröhnte. Bergen-Belsen — Marina — Neddie — Menschen, auf Lastwagen zusammengepfercht — die Lager von Caraolos — überfüllte Baracken — Tote — ich verspreche es dir, Mutter — ich verspreche es dir —.

  Ein Donnerschlag ließ das Haus bis in seine Grundfesten erzittern, Sturm erhob sich auf dem Meer, hohe Wogen brachen sich donnernd am Strand, kamen höher und höher, fast bis an das Haus heran. Sutherland schleuderte die Bettdecke fort und taumelte wie betrunken durch den Raum. Erstarrt blieb er am Fenster stehen, es blitzte und donnerte! Höher und höher stieg das tobende Meer!

  »O Gott — Gott — Gott —!«

  »Brigadier! Brigadier Sutherland. Wachen Sie auf, Sir! Wachen Sie auf!«

  Der griechische Boy stand bei ihm und rüttelte ihn heftig.

  Sutherland öffnete die Augen und blickte wild um sich. Er war schweißgebadet, und sein Herz schlug hämmernd. Er schnappte nach Luft. Der Boy brachte ihm rasch einen Brandy.

  Sutherland sah hinaus auf das Meer. Die Nacht war still, das Wasser lag spiegelglatt und spülte sanft gegen den Strand.

  »Es ist schon wieder gut«, sagte er. »Alles in Ordnung.«

  »Bestimmt, Sir?«

  »Ja.«

  Die Tür schloß sich.

  Bruce Sutherland sank auf einen Stuhl, barg das Gesicht in seinen Händen, weinte und flüsterte immerzu: »Mutter ... Mutter ...«

  VIII.

  Brigadier Bruce Sutherland schlief den quälenden Schlaf des Verdammten.

  Mandria, der Zyprer, wälzte sich im Schlaf unruhig hin und her, doch seine Unruhe war frohe Erregtheit.

  Mark Parker schlief den Schlaf eines Mannes, der eine Mission erfüllt hat.

  Kitty Fremont schlief mit einem Seelenfrieden, wie sie ihn jahrelang nicht mehr gekannt hatte.

  David ben Ami schlief erst, nachdem er Jordanas Brief so oft gelesen hatte, daß er ihn auswendig wußte.

  Ari ben Kanaan schlief nicht. Für einen solchen Luxus war vielleicht später einmal Zeit, nicht jetzt. Er mußte so vieles wissen und hatte so wenig Zeit, es zu lernen. Die ganze Nacht hockte er über Karten, Dokumenten und Berichten, machte sich mit allen Einzelheiten vertraut, die mit Zypern zusammenhingen, mit den Maßnahmen der Engländer, und mit den Leuten seines Volkes, die hier in Zypern saßen. Er arbeitete sich durch Stöße von Material durch, unablässig rauchend oder Kaffee trinkend, und sein Geist war ruhig und zuversichtlich.

  Die Engländer hatten häufig geäußert, daß die Juden von Palästina, was den geheimen Nachrichtendienst betraf, es mit jedem anderen Volk aufnehmen könnten. Die Juden hatten dabei den Vorteil, daß jeder Jude in jedem beliebigen Lande der Welt für einen Mossad-Agenten eine potentielle Informationsquelle darstellte und ihm Schutz gewährte.

  Der Tag brach an. Ari weckte David, und nach einem raschen Frühstück fuhren sie in einer von Mandrias Taxen hinaus zu dem Internierungslager bei Caraolos.

  Das Lager zog sich mit seinen einzelnen Unterabteilungen meilenweit am Rande der Bucht entlang, etwa auf halbem Wege zwischen Famagusta und den Ruinen von Salamis. Nur an den Stellen, an denen die Lagerabfälle zusammengetragen und nach draußen abgefahren wurden, konnten die Internierten und die Zyprer miteinander Kontakt aufnehmen. Die Engländer bewachten diese Stellen nicht besonders scharf, weil das Müllkommando aus sogenannten »Vertrauensleuten« bestand. Dadurch entwickelten sie sich zu Orten mit lebhaftem Handel, wo Lederwaren und andere im Lager hergestellte Dinge gegen Brot und Kleidungsstücke getauscht wurden. Hier, wo das morgendliche Feilschen zwischen Griechen und Juden schon in vollem Gange war, schleuste David Ari ins Lager; und sie betraten die erste Sektion.

  Ari musterte die hohe Wand aus Stacheldraht, die sich Meile um Meile hinzog. Selbst jetzt im November war es heiß und stickig durch den Staub, der beständig durch die Luft wirbelte. Die einzelnen Sektionen des Lagers mit ihren Gruppen von Zelten erstreckten sich in langer Reihe durch das mit Akazien bestandene Gelände am Rande der Bucht. Jede Sektion war von drei bis dreieinhalb Meter hohen Stacheldrahtwänden eingefaßt. An den Ecken standen Wachtürme mit Scheinwerfern und Maschinengewehren. Ein abgemagerter Hund schloß sich ihnen auf ihrem Rundgang an. Auf seine Flanken war das Wort ,Bevin' gemalt — eine Verbeugung vor dem englischen Außenminister.

  In jeder Sektion, zu der sie kamen, der gleiche Anblick: elende und verbitterte Menschen, auf engem Raum zusammengepfercht. Fast alle trugen primitiv genähte rote Hosen und Hemden, hergestellt aus dem Stoff, mit dem die Zelte innen abgefüttert waren. Ari betrachtete die Gesichter, aus denen das Mißtrauen sprach, der Haß und die Hoffnungslosigkeit.

  Jedesmal, wenn sie eine neue Sektion betraten, stürzte ein junger Mann oder ein Mädchen von etwas über oder unter Zwanzig auf Ari zu. Es waren Palmach-Mitglieder, die von Palästina hierhergebracht und ins Lager geschleust worden waren, um unter den Internierten zu arbeiten. Sie fielen ihm um den Hals und wollten wissen, wie es zu Hause aussah. Doch Ari vertröstete sie jedesmal mit der Zusage, er werde in den nächsten Tagen für alle Mitglieder der Arbeitsgruppe ein Palmach-Treffen abhalten. Jeder Palmach-Offizier führte Ari durch die Sektion, für die er verantwortlich war, und gelegentlich stellte Ari dabei eine Frage.

  Doch die meiste Zeit sagte er nichts. Schweigend musterte er Meile um Meile des Stacheldrahts, auf der Suche nach einer Möglichkeit, dreihundert Leute auf einmal herauszubekommen.

  Von den einzelnen Sektionen waren viele mit Menschen eines bestimmten Herkunftslandes belegt. Es gab polnische, französische und tschechische S
ektionen. Es gab orthodoxe Juden, und es gab andere, die durch eine gemeinsame politische Überzeugung zusammengehalten wurden. Bei den meisten aber handelte es sich einfach um Überlebende, denen nichts anderes gemeinsam war, als daß sie Juden waren, die nach Palästina wollten. Und alle waren einander ähnlich durch das gleiche Elend.

  David führte Ari zu einer hölzernen Brücke, die oben über die Wände aus Stacheldraht hinüberführte und die beiden Hauptabteilungen des Lagers miteinander verband. An der Brücke war eine Tafel angebracht mit der Aufschrift: WILLKOMMEN IN BERGEN-BEVIN. »Das ist übrigens eine verdammt bittere Ironie, Ari, mit dieser Brücke. Genauso eine Brücke gab es in Polen, im Ghetto von Lodz.«

  David geriet mehr und mehr in Wut. Er war empört über die menschenunwürdigen Zustände, die in diesem englischen Lager herrschten, über die vergleichsweise größere Freiheit der deutschen Kriegsgefangenen auf Zypern, über die ungenügende Verpflegung, die mangelnde ärztliche Betreuung und ganz allgemein das schwere an ihnen begangene Unrecht. Ari hörte kaum, was David in seiner Erregung äußerte. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, sich die örtlichen Gegebenheiten einzuprägen. Schließlich bat er David, ihm die unterirdischen Gänge zu zeigen.

  David führte Ari zu einer Gruppe orthodoxer Juden, die unmittelbar am Rande der Bucht lag. Nahe am Stacheldraht stand eine Reihe von Latrinen. An der ersten war ein Schild angebracht mit der Inschrift: BEVINGRAD. David zeigte Ari, daß das fünfte und sechste Häuschen in der Reihe nur dem Schein nach Latrinen waren. Die Löcher unter den Sitzen bildeten den Eingang zu unterirdischen Gängen, die unter dem Stacheldraht hindurch zur Bucht führten. Ari schüttelte den Kopf. Ein paar Leute mochten durch diese Gänge entkommen können, aber für eine Massenflucht waren sie nicht geeignet.

  Mehrere Stunden waren vergangen. Sie hatten fast das ganze Lager besichtigt. Ari hatte die letzten beiden Stunden kaum ein Wort gesprochen. Schließlich fragte David, der es vor Ungeduld nicht mehr aushielt: »Nun, was ist dein Eindruck?«

  »Mein Eindruck?« sagte Ari. »Mir scheint, daß Bevin hier nicht besonders populär ist. Was gibt es hier sonst noch zu sehen?«

  »Das Jugendlager habe ich für zuletzt aufgespart. Wir haben dort unser Palmach-Hauptquartier.«

  Als sie diesen Teil des Lagers betraten, stürzte auch hier ein Palmach-Angehöriger auf Ari zu. Diesmal aber erwiderte er die Umarmung herzlich, denn dieser junge Mann, Joab Yarkoni, war ein guter alter Freund. Er wirbelte Yarkoni im Kreis herum, stellte ihn auf die Füße und drückte ihn wieder an sich. Joab Yarkoni war ein dunkelhäutiger marokkanischer Jude, der als kleiner Junge nach Palästina emigriert war. Seine schwarzen Augen funkelten, und ein mächtiger Schnurrbart schien die Hälfte seines Gesichts einzunehmen. Joab und Ari hatten schon viele Abenteuer gemeinsam bestanden, denn obwohl Joab erst Anfang Zwanzig war, so war er doch einer der fähigsten Agenten von Mossad Aliyah Bet und verfügte über eine genaue Kenntnis der arabischen Länder. Von Anfang an war Yarkoni einer der gerissensten und wagemutigsten Mossad-Leute gewesen. Seine größte Leistung war ein Bravourstück gewesen, das es den Juden in Palästina ermöglicht hatte, mit dem Anbau von Dattelpalmen zu beginnen. Die Araber bewachten ihre Dattelpalmen eifersüchtig, doch Yarkoni hatte es fertiggebracht, hundert Schößlinge vom Irak nach Palästina hereinzuschmuggeln. David ben Ami hatte Joab Yarkoni das Kommando in diesem Teil des Lagers übertragen, weil die Jugendsektion der wichtigste Teil des gesamten Lagers von Caraolos war.

  Joab führte Ari durch die Sektion, in der sich lauter Waisenkinder befanden, von den kleinsten bis zum Alter von siebzehn Jahren. Die meisten dieser Waisenkinder hatten den Krieg in Konzentrationslagern verbracht, und viele von ihnen hatten das Leben außerhalb des Stacheldrahts niemals kennengelernt. Im Gegensatz zu den anderen Sektionen standen hier mehrere feste Gebäude. Es gab eine Schule, einen großen Eßraum, ein Lazarett, mehrere kleinere Gebäude und einen großen Spielplatz. Verglichen mit der Lethargie in den übrigen Teilen des Lagers, herrschte hier lebhafte Aktivität. Krankenschwestern, Ärzte, Lehrer und Fürsorgepfleger arbeiteten hier, die nicht zum Lager gehörten, sondern aus den Spenden amerikanischer Juden bezahlt wurden. Infolge dieses beständigen Kommens und Gehens von Außenseitern war die Jugendsektion der Teil des Lagers, der am lässigsten bewacht war. David und Joab hatten sich diesen Umstand sofort zunutze gemacht und hier das Palmach-Hauptquartier eingerichtet. Nachts verwandelte sich der Spielplatz in ein militärisches Ausbildungslager für die Internierten. Die Klassenzimmer dienten für Schulungskurse in arabischer Psychologie, palästinischer Geographie, Taktik, Waffenkunde und hundert anderen Zweigen der Kriegführung.

  Jeder Internierte, der vom Palmach militärisch ausgebildet wurde, mußte sich vor einem Scheintribunal verantworten. Dabei ging man von der Annahme aus, daß der Betreffende nach Palästina gelangt und dort von den Engländern geschnappt worden sei. Der Palmach-Ausbilder nahm ihn in ein Verhör, um den Nachweis zu erbringen, daß der Flüchtling illegal eingewandert war. Der »Kandidat« mußte zahllose Fragen über die Geographie und die Geschichte von Palästina beantworten, um zu »beweisen«, daß er bereits seit vielen Jahren dort gelebt hatte.

  Wenn ein »Kandidat« den Kursus erfolgreich beendet hatte, organisierte der Palmach seine Flucht, meist von der Jugendsektion oder durch die unterirdischen Gänge zu dem weißen Haus auf dem Hügel von Salamis, von dem aus er nach Palästina geschmuggelt wurde. Auf diese Weise waren, in kleinen Gruppen von jeweils zwei oder drei Leuten, bereits mehrere hundert Flüchtlinge nach Palästina gebracht worden.

  Bei der britischen CID wußte man sehr wohl, daß in der JugendSektion dunkle Dinge vor sich gingen. Von Zeit zu Zeit versuchte man, Spitzel im Lager anzusetzen, getarnt als Lehrer oder Pfleger, doch Ghetto und Konzentrationslager hatten eine Generation von Kindern hervorgebracht, die schweigen gelernt hatten, und die Eindringlinge waren jedesmal innerhalb von ein oder zwei Tagen entdeckt worden.

  Ari beendete seine Inspektion in dem Schulgebäude. Eins der Klassenzimmer war kein Schulraum, sondern das Palmach-Hauptquartier. Im Pult des Lehrers war ein Funkgerät verborgen, das die Nachrichtenverbindung mit Palästina aufrechterhielt. Unter den Bodenbrettern waren Waffen für die militärischen Ausbildungskurse versteckt. Und in diesem Raum wurden auch Ausweise und Pässe gefälscht.

  Ari sah sich die Ausrüstung der Fälscherwerkstatt an und schüttelte den Kopf. »Das ist eine völlig unbrauchbare Pfuscherei«, sagte er. »Joab, ich bin sehr unzufrieden mit dir.«

  Yarkoni zuckte nur die Schultern.

  »In den nächsten Wochen werden wir einen Fachmann brauchen«, sagte Ari. »Du hast mir doch gesagt, David, es gäbe einen hier in dieser Sektion.«

  »Stimmt. Es ist ein Junge aus Polen, Dov Landau, doch der will nicht.« »Wir haben wochenlang vergeblich versucht, ihn dazu zu bewegen«, sagte Joab.

  »Ich möchte gern mit ihm reden.«

  Ari bat die beiden, draußen zu warten, und betrat das Zelt von Dov Landau. Er sah sich einem blonden Jungen gegenüber, zu klein für sein Alter, der den unerwarteten Eindringling mißtrauisch musterte. Ari kannte den Blick, diese Augen, in denen der Haß stand. Er sah die nach unten gezogenen Mundwinkel und die verächtlich aufgeworfenen Lippen des Jungen, einen Ausdruck von Bösartigkeit, den so viele der Menschen zeigten, die im Konzentrationslager gewesen waren.

  »Du heißt Dov Landau«, sagte Ari und sah dem Jungen fest in die Augen. »Du bist siebzehn Jahre alt und stammst aus Polen. Du bist im Konzentrationslager gewesen, und du bist ein Fachmann auf dem Gebiet der Fälschung. Ich heiße Ari ben Kanaan, komme aus Palästina und bin Mitglied von Mossad Aliyah Bet.«

  Der Junge spuckte verächtlich aus.

  »Hör zu, Dov — ich habe weder die Absicht, dich um etwas zu bitten, noch habe ich die Absicht, dir zu drohen. Ich möchte dir vielmehr einen ganz klaren geschäftlichen Vorschlag machen. Nennen wir es einmal einen gegenseitigen Beistandspakt.«

  »Ich will Ihnen mal was sagen, Ben Kanaan«, sagte Dov Landau höhnisch. »Ihr Burschen seid auch nicht besser als die Deutschen oder die Engländer. Ihr wollt uns ja nur mit Gewalt nach Palästina haben, weil ihr Angst vor
den Arabern habt. Klar, ich will nach Palästina, aber wenn ich dort bin, dann gehe ich zu einem Verein, bei dem ich Leute umlegen kann!«

  Ari verzog keine Miene bei den giftigen Worten, die ihm der Junge entgegenschleuderte. »Großartig. Wir sind uns völlig einig. Dir gefallen die Gründe nicht, aus denen ich wünsche, daß du nach Palästina kommst, und mir gefallen die Gründe nicht, aus denen du dir wünschst, dorthin zu kommen. In einem Punkt aber stimmen wir überein: Du gehörst nach Palästina und nicht hierher.«

  Der Junge kniff die Augen mißtrauisch zusammen. Dieser Ben Kanaan war nicht wie die anderen.

  »Gehen wir einen Schritt weiter«, sagte Ari. »Dadurch, daß du hier auf deinem Hintern sitzt und nichts tust, wirst du nicht nach Palästina kommen. Ich schlage also vor, du hilfst mir, und ich helfe dir. Was du machst, wenn du erst einmal dort bist, das ist deine Sache.«

  Dov Landau blinzelte überrascht.

  »Es handelt sich um Folgendes«, sagte Ari. »Ich brauche gefälschte Ausweise. Und zwar brauche ich Haufen von gefälschten Ausweisen innerhalb der nächsten Wochen, und diese Burschen hier sind nicht einmal imstande, ihre eigene Unterschrift zu falschen. Ich möchte, daß du für mich arbeitest.«

  Der Junge war durch das rasche und direkte Vorgehen von Ari völlig überrumpelt. Er versuchte Zeit zu gewinnen, um zu prüfen, ob da irgendwo eine Falle war. »Ich werd's mir überlegen«, sagte er. »Sicher, überleg's dir. Du hast dreißig Sekunden Zeit.«

  »Und wenn ich nun ablehne? Werden Sie dann versuchen, mich durch Prügel soweit zu kriegen?«

  »Ich habe dir doch schon gesagt, Dov, wir brauchen einander. Ich möchte dir das mit aller Deutlichkeit erklären. Wenn du dich jetzt nicht an die Arbeit machst, dann werde ich persönlich dafür sorgen, daß du der letzte bist, der das Lager hier verläßt. Da du dann fünfunddreißigtausend Leute vor dir hast, wirst du, wenn du schließlich nach Palästina kommst, viel zu alt und schwach sein, um noch eine Bombe werfen zu können. Übrigens, deine dreißig Sekunden sind um.«