Exodus Read online

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  Ari sagte nichts. Sie blickte zu ihm hinauf und sah den verletzten Ausdruck seines Gesichts.

  »Reden Sie, Ari, sagen Sie es. Sagen Sie irgend etwas.«

  Er blieb stumm.

  Kitty stand langsam auf und sah ihn an. »Ich will das nicht, Ari. Ich mag nicht, daß man mich einfach schwach macht und nimmt. Vermutlich lag es nur an dem Mondschein —.«

  »Ich hatte wirklich nicht angenommen, daß ich einer widerspenstigen Jungfrau den Hof machte«, sagte er.

  »Ari, bitte —.«

  »Ich habe keine Zeit für Spiele und Koseworte. Ich bin ein erwachsener Mann, und Sie sind eine erwachsene Frau.«

  »Wie gut Sie es zu formulieren verstehen.«

  »Wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich mich jetzt entfernen«, sagte er kühl.

  Kitty zuckte zusammen, als er die Tür mit einem Ruck geschlossen hatte. Lange stand sie an der Balkontür und sah auf das Wasser hinaus. Der See war böse, und der Mond verschwand hinter einer dunklen Wolke.

  Kitty war wie betäubt. Warum war sie vor ihm geflohen? Noch nie hatte sie für einen Mann ein so starkes Gefühl gehabt, und noch nie hatte sie wie hier die Herrschaft über sich selbst so völlig verloren. Sie war überzeugt, daß Ari ben Kanaan kein ernstliches, tiefes Verlangen nach ihr hatte. Für eine Nacht, ja, aber sonst brauchte er sie nicht, und noch nie hatte ein Mann sie so behandelt wie er.

  Doch dann wurde ihr klar, daß es gerade ihr starkes Gefühl für ihn war, wovor sie geflohen war, diese Sehnsucht nach Ari, die imstande war, sie dazu zu bringen, in Palästina zu bleiben. Sie durfte es nie wieder so weit kommen lassen. Sie war entschlossen, mit Karen nach Amerika zurückzukehren, und nichts sollte sie daran hindern! Sie war sich klar darüber, daß sie vor Ari Angst hatte; denn Ari konnte ihr gefährlich werden. Falls er nur die geringsten Anzeichen dafür erkennen ließ, daß er sie wirklich liebte, dann würde sie kaum die Kraft haben — doch der Gedanke an seine Kälte und Härte bestärkte sie in ihrem Entschluß, fest zu bleiben, gab ihr die Sicherheit wieder und machte sie, seltsamerweise, gleichzeitig traurig.

  Sie warf sich auf ihr Bett und fiel in einen Schlaf der Erschöpfung, während der Wind, der über das Wasser herankam, an ihrem Fenster rüttelte.

  Am nächsten Morgen war es windstill, und der See war wieder glatt. Kitty schlug die Decke zurück, sprang aus dem Bett, und ihr fiel alles wieder ein. Sie errötete. Was geschehen war, erschien ihr jetzt nicht mehr so schrecklich, doch sie war beschämt. Sie hatte eine Szene gemacht, und zweifellos hatte Ari das Ganze reichlich dramatisch und zugleich kindisch gefunden. Es war alles ihre Schuld gewesen; sie wollte es wiedergutmachen, indem sie sich mit ihm in aller Ruhe und mit aller Klarheit auseinandersetzte.

  Sie zog sich rasch an und ging in den Frühstücksraum hinunter, um auf Ari zu warten. Sie überlegte sich die Worte, mit denen sie ihn um Entschuldigung bitten wollte.

  So saß sie eine halbe Stunde, trank ihren Kaffee und wartete. Ari kam nicht. Sie drückte die dritte Zigarette im Aschenbecher aus und ging durch die Halle zum Empfang.

  »Haben Sie Mr. Ben Kanaan heute früh gesehen?« fragte sie den Portier.

  »Mr. Ben Kanaan ist um sechs Uhr weggefahren.«

  »Hat er gesagt, wohin?«

  »Mr. Ben Kanaan sagt nie, wohin er fährt.«

  »Vielleicht hat er irgendeine Nachricht für mich hinterlassen?«

  Der Portier drehte sich um und zeigte auf das leere Schlüsselfach. »Ich sehe schon—ja, also — besten Dank.«

  XI.

  Dov Landau fand ein Zimmer in einem viertklassigen Hotel in der Jerusalemer Altstadt. Wie man ihm geraten hatte, begab er sich in das auf der Nablus-Straße gelegene Saladin-Café und hinterließ dort seinen Namen und seine Hoteladresse zur Weiterleitung an Bar Israel.

  Er versetzte die goldenen Ringe und Armbänder, die er in Gan Dafna gestohlen hatte, und ging daran, sich in Jerusalem zu orientieren. Für die Ghetto-Ratte und den einstigen Meisterdieb von Warschau war das eine Kleinigkeit. Innerhalb von drei Tagen kannte Dov jede Straße und jede Gasse in der Altstadt und den umliegenden Geschäftsvierteln. Mit seinen scharfen Augen und seinen flinken Händen brachte er genügend Wertgegenstände an sich, um seinen Lebensunterhalt damit bestreiten zu können. Sich durch die engen Gäßchen und die überfüllten Basare zu verdrücken, war für ihn geradezu lächerlich einfach.

  Einen großen Teil seines Geldes gab er für Bücher und Zeichenmaterial aus. In den vielen Buchhandlungen der Jaffa-Straße suchte er nach Büchern über Kunst, Architektur und Planzeichnen. Mit seinen Büchern und seinem Zeichenmaterial, ein paar getrockneten Früchten und einigen Flaschen Limonade schloß er sich in seinem Hotelzimmer ein und wartete darauf, daß sich die Makkabäer mit ihm in Verbindung setzten. Nachts arbeitete er bei Kerzenlicht. Von dem prächtigen Bild draußen vor seinem Fenster, dem Blick auf den Felsendom und die Klagemauer, sah er nichts. Er las, bis ihm die Augen brannten und er nicht weiterlesen konnte. Dann legte er das Buch auf seine Brust, starrte zur Decke und dachte an Karen. Er hatte nicht geahnt, daß sie ihm so sehr fehlen würde, und er hatte sich nicht vorstellen können, daß ihm die Sehnsucht nach ihr physischen Schmerz verursachen könnte. Karen war so lange in seiner Nähe gewesen, daß er vergessen hatte, wie es war, von ihr entfernt zu sein. Er erinnerte sich an jeden Augenblick, den er mit ihr erlebt hatte, an die Wochen in Caraolos, und an die Tage auf der Exodus, als sie neben ihm im Raum des Schiffes gelegen hatte. Er erinnerte sich daran, wie glücklich sie gewesen war und wie schön sie ausgesehen hatte an dem ersten Tage in Gan Dafna. Er dachte an ihr freundliches, ausdrucksvolles Gesicht, die sanfte Berührung ihrer Hand und den scharfen Ton ihrer Stimme, wenn sie böse war.

  Zwei Wochen lang verließ Dov sein Zimmer nur, wenn es unbedingt nötig war. Am Ende der zweiten Woche brauchte er wieder etwas Geld und ging in die Stadt, um einige Ringe zu versetzen. Als er das Gebäude, in dem sich das Leihhaus befand, wieder verlassen wollte, sah er in der Dunkelheit neben dem Tor einen Mann stehen. Dov schloß die Hand um den Griff seiner Pistole und ging weiter, bereit, bei dem geringsten Geräusch herumzufahren. »Stehenbleiben, nicht umdrehen«, befahl eine Stimme aus der Dunkelheit.

  Dov blieb wie angewurzelt stehen.

  »Du hast nach Bar Israel gefragt. Was willst du von ihm?«

  »Sie wissen, was ich will.«

  »Wie heißt du?«

  »Landau, Dov Landau.«

  »Woher kommst du?«

  »Aus Gan Dafna.«

  »Wer hat dich geschickt?«

  »Mordechai.«

  »Wie bist du nach Palästina gekommen?«

  »Mit der Exodus.«

  »Geh weiter, hinaus auf die Straße, und sieh dich nicht um. Man wird sich mit dir in Verbindung setzen.«

  Nachdem der Kontakt hergestellt war, wurde Dov unruhig. Er war kurz davor, alles hinzuschmeißen und nach Gan Dafna zurückzukehren. Er hatte schreckliche Sehnsucht nach Karen. Er fing ein halbes Dutzend Briefe an sie an und zerriß alle wieder. Wir müssen Schluß machen, sagte er sich immer wieder, wir müssen Schluß machen.

  Er lag in seinem Zimmer auf dem Bett und las. Die Augen fielen zu. Doch dann fuhr er wieder hoch und brannte neue Kerzen an; falls er einschlief und der alte schreckliche Alptraum wieder über ihn kommen sollte, wollte er nicht in einem dunklen Zimmer aufwachen. Plötzlich klopfte es an der Tür. Dov sprang auf, nahm seine Pistole und stellte sich dicht neben die verschlossene Tür.

  »Gut Freund«, sagte die Stimme von draußen. Dov erkannte die Stimme des Mannes, der in der Dunkelheit mit ihm gesprochen hatte. Er machte die Tür auf. Niemand war zu sehen. »Dreh dich um und stell dich mit dem Gesicht zur Wand«, befahl die Stimme des Unsichtbaren. Dov gehorchte. Hinter sich spürte er die Anwesenheit von zwei Männern. Die Augen wurden ihm verbunden, und zwei Händepaare führten ihn die Treppe zu einem wartenden Wagen hinunter. Dov mußte sich hinten auf den Boden legen, eine staubige Decke wurde über ihm ausgebreitet; der Wagen fuhr los und entfernte sich mit hoher Geschwindigkeit aus der Altstadt.

  Dov konzentrierte sich darauf, herauszubekommen, wohin sie fuhren. Der Wagen bog mit kreische
nden Reifen in die König-Salomon-Straße und fuhr die Via Dolorosa entlang zum Stephanstor. Das festzustellen war ein Kinderspiel für Dov Landau, der sich in der Dunkelheit der Kanäle unterhalb von Warschau auf hundert verschiedenen Wegen zurechtgefunden hatte. Der Fahrer schaltete einen niedrigeren Gang ein, um eine Steigung zu nehmen. Nach Dovs Schätzung mußten sie am Grab der Jungfrau vorbei zum Ölberg fahren. Die Straße wurde flach, und Dov wußte, daß sie auf dem Skopusberg waren und an der Hebräischen Universität und dem Gebäudekomplex der Hadassa vorbeifuhren. Nach weiteren zehn Minuten Fahrt hielt der Wagen an, und Dov berechnete fast bis auf den Häuserblock genau, wo sie waren: im Sanhedriya-Viertel, in unmittelbarer Nähe der Grabmäler der Sanhedrin, der Mitglieder des Ältestenrates im alten Israel.

  Man führte ihn in den verrauchten Raum des Hauses, wo man ihn aufforderte, auf einem Stuhl Platz zu nehmen. Er spürte die Anwesenheit von wenigstens fünf oder sechs Leuten. Zwei Stunden lang wurde Dov ins Verhör genommen. Von allen Seiten wurden in schneller Folge zahllose Fragen an ihn gerichtet, bis er vor Nervosität zu schwitzen anfing. Dabei ging ihm allmählich ein Licht auf. Durch ihren unfehlbaren Geheimdienst hatten die Makkabäer in Erfahrung gebracht, daß Dov ein ungewöhnlich begabter Fälscher war. Er wurde bei den Makkabäern dringend gebraucht. Die Leute, die ihn ausfragten, waren offenbar hohe Makkabäer, vielleicht sogar ihre führendsten Gestalten. Schließlich schien man sich von Dovs Fähigkeiten und seiner Zuverlässigkeit hinreichend überzeugt zu haben.

  »Da vor dir ist ein Vorhang«, sagte eine Stimme. »Strecke deine Hände durch diesen Vorhang.«

  Dov tat es. Eine seiner Hände wurde auf eine Pistole, die andere auf eine Bibel gelegt. Dann mußte er den Schwur der Makkabäer nachsprechen:

  »Ich, Dov Landau, gelobe hiermit, meinen Körper, meine Seele und mein ganzes Sein vorbehaltlos und uneingeschränkt dem Kampf der Makkabäer für die Freiheit zu weihen. Jedem Befehl werde ich bedingungslos Gehorsam leisten. Ich werde mich der Autorität unterwerfen, die über mich zu bestimmen hat. Selbst wenn man mich zu Tode foltern sollte, werde ich niemals den Namen eines anderen Makkabäers oder die mir anvertrauten Geheimnisse verraten. Ich werde bis zum letzten Atemzug gegen die Feinde des jüdischen Volkes kämpfen. Ich werde in diesem heiligen Kampfe nicht nachlassen bis zur Verwirklichung eines jüdischen Staates beiderseits des Jordans, auf den mein Volk ein geschichtliches Anrecht hat. Mein Wahlspruch soll sein: Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Brandmal um Brandmal. Das alles schwöre ich im Namen Abrahams, Isaaks und Jakobs, im Namen von Sara, Rebekka, Rachel und Lea, im Namen der Propheten und all der Juden, die man umgebracht hat, und aller meiner tapferen Brüder und Schwestern, die für die Freiheit gestorben sind.«

  Dov Landau wurde die Binde von den Augen genommen; die Kerzen der Menora, die vor ihm standen, wurden ausgeblasen, und das Licht im Raum ging an. Dov sah sechs Männer und zwei Frauen vor sich. Sie begrüßten ihn mit Handschlag und nannten ihm ihre Namen. Der alte Akiba war selbst anwesend, Ben Mosche war da und Nachum ben Ami, Davids Bruder.

  »Deine Fähigkeiten sind für uns von großem Wert, Dov Landau«, sagte Akiba. »Das ist der Grund, weshalb wir dich ohne die sonst übliche Vorbereitung aufgenommen haben.«

  »Ich bin nicht zu den Makkabäern gegangen, um Bilder zu malen«, sagte Dov heftig.

  »Du wirst tun, was man dir sagt«, entgegnete Ben Mosche.

  »Du bist jetzt ein Makkabäer«, sagte Akiba. »Dadurch bist du berechtigt, dir den Namen eines hebräischen Heroen zuzulegen, hast du einen solchen Namen im Sinn?«

  »Giora«, sagte Dov.

  Einige der Anwesenden lachten. Dov knirschte mit den Zähnen. »Giora?« sagte Akiba. »Tut mir leid, aber da sind andere vor dir dran.«

  »Wie wäre es mit Kleiner Giora«, sagte Nachum ben Ami, »bis Dov eines Tages vielleicht der Große Giora werden kann?«

  »Das wird nicht lange dauern, wenn ihr mir die Chance dazu gebt.« »Du wirst eine Fälscherwerkstatt einrichten«, sagte Ben Mosche, »und mit uns ziehen. Wenn du dich gut führst und tust, was man dir sagt, dann darfst du vielleicht ab und zu auch bei einer unserer Unternehmungen mitmachen.«

  Major Fred Caldwell saß im britischen Offiziersklub in Jerusalem und spielte Bridge. Doch es fiel ihm schwer, sich auf das Spiel zu konzentrieren. Seine Gedanken gingen immer wieder zur Dienststelle der CID und der gefangenen Makkabäerin zurück, die dort seit drei Tagen verhört wurde. Sie hieß Ayala, war Anfang Zwanzig und sehr hübsch. Jedenfalls war sie es gewesen, bevor das Verhör begonnen hatte. Sie war standhaft geblieben und hatte für die Beamten der CID nur Verachtung übrig gehabt. Doch heute morgen war ihnen die Geduld gerissen, und sie hatten begonnen, Ayala verschärft zu vernehmen.

  »Sie sind dran, Freddy«, sagte sein Partner, der ihm am Tisch gegenübersaß.

  Caldwell warf einen raschen Blick auf seine Karten. »Entschuldigen Sie«, sagte er und spielte aus, aber schlecht. Er dachte an den Inspektor, der über Ayala stand und ihr mit einem Gummischlauch ins Gesicht schlug. Er hörte, wie es wieder und wieder knallte, bis ihr Nasenbein gebrochen, die Augen dunkelblau angeschwollen und die Lippen zerplatzt waren. Doch Ayala war stumm geblieben. Eine Ordonnanz kam an den Tisch. »Verzeihung, Herr Major — Sie werden am Apparat verlangt.«

  »Entschuldigt mich, Jungs«, sagte Freddy, legte die Karten verdeckt auf den Tisch und ging zum Telefon. Er nahm den Hörer und sagte: »Hier Caldwell.«

  »Hallo, Sir — hier spricht der Sergeant von der Wache bei der CID. Inspektor Parkington hat mich gebeten, Sie sofort anzurufen. Er läßt Ihnen sagen, die Makkabäerin sei bereit, auszupacken, und Sie möchten doch gleich mal 'rüberkommen.«

  »In Ordnung«, sagte Caldwell.

  »Inspektor Parkington hat schon einen Fahrer losgeschickt, der Sie abholen soll, Sir. Der Wagen wird in einigen Minuten bei Ihnen sein.«

  Caldwell ging an den Bridgetisch zurück. »Tut mir leid, Jungs, aber ich muß fort. Die Pflicht ruft.« »Das ist Pech, Freddy.«

  Was heißt hier Pech, dachte Freddy. Er freute sich darauf. Er trat vor die Tür. Die Posten salutierten. Ein Wagen hielt an, ein Soldat, der am Steuer gesessen hatte, sprang heraus, ging auf Caldwell zu und legte die Hand an die Mütze.

  »Major Caldwell?«

  »So ist es, mein Sohn.«

  »Ihr Wagen von der CID, Sir.«

  Der Soldat ging zum Wagen und öffnete die hintere Tür. Caldwell stieg ein, der Soldat rannte um den Wagen herum, setzte sich ans Steuer und fuhr los. Bei der zweiten Querstraße fuhr der Fahrer an den Rinnstein heran und verlangsamte die Fahrt. Im nächsten Augenblick wurden die Türen aufgerissen, drei Männer sprangen herein, schlugen die Türen zu, und der Wagen nahm seine alte Geschwindigkeit wieder auf.

  Caldwell schnürte es die Kehle zu vor Angst. Er schrie auf und wollte sich auf Ben Mosche stürzen. Der Makkabäer, der vorn neben dem Fahrer saß, drehte sich herum und versetzte ihm einen Schlag mit der Pistole.

  »Ich verlange Auskunft, was das Ganze bedeuten soll!« sagte Caldwell, der vor Angst die Augen weit aufriß.

  »Sie scheinen beunruhigt zu sein, Major Caldwell«, sagte Ben Mosche.

  »Halten Sie augenblicklich an und lassen Sie mich heraus.«

  »Auf dieselbe Weise etwa wie einen vierzehnjährigen Jungen namens Ben Solomon in einem Araberdorf, wären Sie damit einverstanden? Sehen Sie, Major Caldwell, Ben Solomons Geist hat aus dem Grabe gerufen und uns aufgefordert, den Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen.«

  Caldwell brach der Schweiß aus, es brannte ihm in den Augen.

  »Das ist eine Lüge — eine Lüge!«

  Ben Mosche legte etwas auf Caldwells Knie und richtete den Schein seiner Taschenlampe darauf. Es war eine Fotografie des enthaupteten Ben Solomon.

  Caldwell begann zu wimmern und um Gnade zu bitten. Er knickte zusammen und erbrach sich vor Angst.

  »Es sieht aus, als sei Major Caldwell geneigt, einiges zu erzählen«, sagte Ben Mosche. »Es ist wohl das Beste, wir bringen ihn zu unserem Hauptquartier, damit er uns mitteilen kann, was er weiß, ehe wir das Konto Ben Solomon begleichen.«

  Caldwell
platzte mit allem heraus, was ihm von den militärischen Plänen der Engländer und der Tätigkeit der CID bekannt war und unterschrieb anschließend eine Erklärung, worin er seine Schuld an dem Tode Ben Solomons eingestand.

  Drei Tage nach Major Caldwells Entführung fand man seine Leiche auf dem Zionsberg in der Nähe der alten Stadtmauer. An der Leiche war eine Fotografie Ben Solomons und eine Fotokopie von Caldwells Geständnis befestigt, und quer über den Text dieses Dokuments waren die Worte geschrieben: Auge um Auge, Zahn um Zahn.

  XII.

  Die Nachricht von Major Caldwells Ermordung schlug wie eine Bombe ein. Zwar schien niemand die Berechtigung dieser Vergeltung zu bezweifeln, doch fanden viele, daß die Makkabäer mit ihren Methoden zu weit gingen.

  In England, wo man die gesamte Situation mit steigendem Unbehagen beobachtete, übte die öffentliche Meinung einen Druck auf die Labour-Regierung aus, um sie zu veranlassen, das Mandat niederzulegen. In Palästina waren die Engländer erbittert und beunruhigt.

  Zwei Tage, nachdem Caldwells Leiche gefunden worden war, starb ein von den Engländern gefangener Makkabäer. Es war das Mädchen Ayala, das nach den schweren Mißhandlungen während der »verschärften Vernehmung« verblutet war. Als die Makkabäer von Ayalas Tod erfuhren, begannen sie einen vierzehntägigen Vergeltungsfeldzug, der alle ihre bisherigen Aktionen in den Schatten stellen sollte. Jerusalem taumelte bald unter den Schlägen des Terrors, der zuletzt mit einem bei hellichtem Tage geführten Angriff gegen das Hauptquartier der CID ihren Höhepunkt erreichte. Während dieser vierzehntägigen Hölle, bei der der ganze aufgestaute Zorn der Makkabäer zum Ausdruck kam, kämpfte Dov Landau mit einer geradezu selbstmörderischen Tapferkeit, die selbst die härtesten Makkabäer in Erstaunen versetzte. Er nahm an vier Angriffen teil und war schließlich sogar einer der Führer der Aktion gegen das CID-Hauptquartier. Durch seinen in diesen vierzehn Tagen bewiesenen Mut begann der Name des »Kleinen Giora« als der eines furchtlosen Freiheitskämpfers fast legendär zu werden. Ganz Palästina hielt Tag für Tag in Erwartung des nächsten Schlages, der kommen würde, den Atem an. General Arnold Haven-Hurst, der anfänglich ganz betäubt war, schritt aber sehr bald zu harten Maßnahmen gegen die Jischuw. Er verhängte Ausnahmezustand und Kriegsrecht, führte Ausgangs- und Straßensperren ein, ließ zahlreiche Haussuchungen vornehmen und Siedlungen, in denen Waffen vermutet wurden, gründlich durchkämmen. Tagein, tagaus patrouillierten britische Truppen durch die Straßen der jüdischen Städte — in ständiger Befürchtung eines neuen Angriffs, der jederzeit aus irgendeinem Hinterhalt kommen konnte. In seiner Abschreckungskampagne, die Handel und Industrie fast zum Erliegen brachte, scheute er selbst vor Exekutionen nicht zurück.