Exodus Read online

Page 45


  »Komm her, Kitty«, rief sie, »hier ist ein Platz für dich.«

  »Nein«, sagte Kitty, »das ist euer Fest. Ich bin heute nur Zuschauer.«

  Als alle Kinder ihre Pakete geöffnet hatten, erhob sich David ben Ami am Kopfende der Tafel. Es wurde sehr still auf der Terrasse, als er zu reden anfing. Nur das gleichmäßige Rauschen der Brandüng war noch zu hören.

  »Heute abend feiern wir den ersten Tag des Chanukka-Festes«, sagte David. »Wir begehen dieses Fest zum ehrenden Angedenken an Juda Makkabi und seine mutigen und gläubigen Brüder und Mitstreiter, die von den Bergen Judäas herabgestiegen waren, um gegen die Griechen zu kämpfen, die unser Volk unterdrückten.« Einige der Jugendlichen applaudierten.

  »Juda Makkabi hatte nur eine schwache Schar von Streitern zur Verfügung, und es war eigentlich unsinnig, es mit einem so überlegenen und machtvollen Gegner wie den Griechen aufzunehmen, die die ganze damalige Welt beherrschten. Doch Juda Makkabi vertraute auf seine gute Sache. Er glaubte daran, daß ihm der alleinige, der wahre Gott den Weg weisen werde. Juda war ein großartiger Kriegsmann. Immer wieder verstand er es, die Griechen zu überlisten. Und seine Männer waren überragende Streiter, denn ihre Herzen waren erfüllt vom Glauben an Gott. Die Makkabäer berannten Jerusalem, nahmen es im Sturm und vertrieben die Griechen aus Kleinasien.«

  Stürmischer Beifall.

  »Juda begab sich mit seinen Streitern in den Tempel, ließ die Statue des Zeus hinauswerfen und weihte den Tempel erneut dem einzigen wahren Gott — demselben Gott, der uns allen in unserem Kampf gegen die Engländer geholfen hat.«

  David sprach weiter und berichtete von der Wiedergeburt der jüdischen Nation, und Kitty Fremont hörte ihm zu. Sie sah Karen an und Dov Landau — und sie sah Mark an und senkte den Blick. Dann bemerkte sie, daß jemand neben ihr stand. Es war Brigadier Bruce Sutherland.

  »Heute abend entzünden wir die erste Kerze der Menora. Jeden Abend werden wir eine weitere Kerze entzünden, bis es acht sind. Wir nennen Chanukka das Fest der Lichter.«

  David ben Ami entzündete die erste Kerze, und die Kinder sagten »Oh« und »Ah«.

  »Morgen abend werden wir die zweite Chanukka-Kerze auf hoher See anzünden, und am Abend darauf die dritte in Erez Israel.«

  David bedeckte den Kopf mit einer Kappe und schlug die Bibel auf. »Der Herr ist mein Hirte; Er schläft und schlummert nicht.«

  Die alte Schiffsmaschine ächzte, als die Exodus rückwärts in die Mitte des Hafens von Kyrenia glitt, wendete und Kurs hinaus auf das Meer nahm, in Richtung Palästina.

  Am Morgen des zweiten Tages kam Land in Sicht.

  »Palästina!«

  »Erez Israel!«

  Die Kinder riefen aufgeregt durcheinander, jauchzten, lachten und sangen.

  Auch für die Leute an Land wurde die Exodus sichtbar, und wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht unter den Juden von Palästina. Die Kinder kamen, die das mächtige Britische Empire in die Knie gezwungen hatten.

  Die Exodus tuckerte in den Hafen von Haifa, empfangen von einem vielstimmigen Blas- und Pfeifkonzert. Der Salut lief von Haifa durch die Ortschaften, die Kibuzzim und Moschawim, bis zu dem Gebäude des Jischuw-Zentralrats in Jerusalem.

  Fünfundzwanzigtausend Juden strömten zum Hafen, um das altersschwache kleine Fahrzeug zu begrüßen. Das jüdische Philharmonische Orchester spielte die jüdische Nationalhymne — »Hatikwa«, die Hoffnung.

  Karen Hansen-Clement liefen die Tränen über die Wangen, während sie Kitty ansah.

  Die Exodus war heimgekehrt!

  DRITTES BUCH

  AUGE UM AUGE

  Entsteht aber ein Schaden draus, so soll er lassen Seele um Seele, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß, Brandmal um Brandmal, Wunde um Wunde, Strieme um Strieme.

  MOSES, 5. BUCH, 21, 23/24/25

  I.

  Am Hafen stand eine Reihe silberblauer Busse zum Empfang der Kinder bereit. Die offizielle Begrüßung war bald vorbei. Die Kinder wurden in die Busse verladen, und die Kolonne verließ, eskortiert von britischen Panzerfahrzeugen, eilig das Hafengelände. Karen schob ihr Fenster hoch und rief Kitty etwas zu, doch Kitty konnte in dem Lärm nichts verstehen. Die Busse fuhren davon, und die Menge verlief sich. Nach fünfzehn Minuten lag der Hafen, bis auf einige Hafenarbeiter und ein paar britische Posten, leer und ausgestorben da.

  Kitty stand an der Reling der Exodus, bewegungslos und wie gelähmt durch die Fremdheit der Welt, in der sie plötzlich allein war. Sie konnte kaum begreifen, wo sie eigentlich war. Sie richtete ihren Blick auf Haifa. Es war schön, wie alle Städte, die rings um eine Bucht auf der Anhöhe liegen. In der Nähe des Hafens befand sich das arabische Viertel, ein Gewirr dicht zusammengedrängter Gebäude. Die jüdischen Häuser lagen über den langen Hang des Karmelberges verstreut. Links, unmittelbar außerhalb der Stadt, sah Kitty den Umriß der riesigen Raffinerie, die Endstation der Rohrleitungen, die das Öl von den Bohrfeldern bei Mossul heranbrachten. Auf dem Dock einer Werft in der Nähe sah sie ein Dutzend baufälliger, überalterter Schiffe der Aliyah Bet, denen es wie der Exodus gelungen war, Palästina zu erreichen.

  Kitty wurde durch Seew, David und Joab aus ihren Gedanken gerissen; sie kamen, um sich zu verabschieden. Sie bedankten sich bei ihr und gaben der Hoffnung Ausdruck, sie wiederzusehen. Dann war Kitty allein.

  »Eine hübsche Stadt, nicht wahr?«

  Kitty drehte sich um. Hinter ihr stand Ari ben Kanaan. »Wir richten es immer so ein«, sagte er, »daß die Leute, die als Gäste Palästina besuchen, in Haifa ankommen. Dadurch bekommen sie gleich einen guten Eindruck.«

  »Wohin kommen die Kinder?« fragte Kitty.

  »Sie werden auf ein halbes Dutzend verschiedener Jugend-Aliyah-Lager verteilt. Einige dieser Lager befinden sich in Kibbuzim. Andere Jugendzentren haben ihr eigenes Dorf. Ich werde Ihnen in ein paar Tagen sagen können, in welchem Lager Karen ist.«

  »Danke.«

  »Und was sind Ihre eigenen Pläne, Kitty?«

  Sie lachte halb ironisch und halb verlegen. »Das habe ich mich gerade eben auch gefragt, und außerdem noch alles mögliche andere. Ich bin fremd hier, Mr. Ben Kanaan; im Augenblick komme ich mir ein bißchen komisch vor und weiß gar nicht, wieso ich eigentlich hier bin. Aber keine Sorge, ich habe schließlich ein ordentliches Handwerk gelernt. Gute Kinderpflegerinnen werden überall gebraucht. Ich finde schon irgendwo eine Stelle.«

  »Wollen Sie mir erlauben, Ihnen behilflich zu sein?«

  »Sie werden vermutlich sehr viel zu tun haben. Ich komme schon allein zurecht.«

  »Also, jetzt hören Sie mal zu. Ich glaube, die Jugend-Aliyah wäre genau das Richtige für Sie. Die Leiterin ist eine gute Freundin von mir. Ich werde es in die Wege leiten, daß Sie sich in Jerusalem einmal mit ihr unterhalten können.«

  »Das ist sehr nett von Ihnen, aber ich möchte Ihnen wirklich keine Umstände machen.«

  »Unsinn, das ist schließlich das mindeste. Falls es Ihnen möglich sein sollte, meine Gesellschaft ein paar Tage zu ertragen, wird es mir ein Vergnügen sein, Sie mit dem Wagen nach Jerusalem zu fahren. Ich muß zunächst nach Tel Aviv, wo ich dienstlich etwas zu erledigen habe; doch das macht nichts. Ich kann bei der Gelegenheit die Verabredung für Sie treffen.«

  »Ich möchte nicht, daß Sie sich dazu verpflichtet fühlen.« »Ich tue es, weil ich es gern möchte«, sagte Ari.

  Kitty hätte gern einen Seufzer der Erleichterung ausgestoßen. Es machte sie wirklich nervös, allein in einem fremden Land zu sein. Sie lächelte und dankte ihm.

  »Also gut«, sagte Ari. »Wir werden heute nacht in Haifa bleiben müssen — wegen der Sperrstunde. Packen Sie einen kleinen Koffer mit dem Nötigsten für die nächsten paar Tage. Wenn Sie zuviel bei sich haben, werden die Engländer alle fünf Minuten Ihre Koffer kontrollieren. Ihre übrigen Sachen werde ich beim Zoll plombieren und verwahren lassen.«

  Nachdem beim Zoll alles erledigt war, besorgte Ari ein Taxi und fuhr mit Kitty in den jüdischen Teil von Haifa, der sich an den Hängen des Karmelberges hinaufzog. Nicht weit vom Gipfel hielten sie bei einer kleinen Pension, die in einem Pinienhain lag. Ari
meinte:

  »Es ist besser, hier oben zu wohnen. Ich kenne allzu viele Leute, und ich hätte keinen Augenblick Ruhe, wenn wir im Zentrum der Stadt geblieben wären. Und jetzt ruhen Sie sich erst einmal aus. Ich fahre in die Stadt hinunter und versuche, einen Wagen zu organisieren. Bis zum Abendessen bin ich wieder da.«

  Am Abend ging Ari mit Kitty in ein Restaurant, das auf dem Gipfel des Karmelberges lag und von dem aus man einen Blick auf die gesamte Umgebung hatte. Die Aussicht war atemberaubend. Der ganze Hang war mit Bäumen bewachsen, unter denen halb verborgen Villen und Wohnhäuser lagen. Die meisten waren aus bräunlichem Gestein und sehr modern gebaut. Die riesige Ölraffinerie war von hier oben aus nur ein kleiner Farbfleck, und als es dunkel wurde, zog sich eine goldene Kette von Lampen die Kurven der Straße entlang, die vom Hadar Ha-Karmel zum Arabischen Viertel in der Nähe des Hafens hinunterführte.

  Kitty fand es sehr aufregend und sehr angenehm, daß Ari ihr gegenüber plötzlich so aufmerksam war. Sie war erstaunt, wie modern der jüdische Teil von Haifa war. Diese Stadt war viel moderner als Athen oder Saloniki! Und sie fühlte sich auch gar nicht mehr so fremd, als der Kellner und ein halbes Dutzend Leute, die Ari kannten und für einen Augenblick bei ihrem Tisch stehenblieben, sie auf Englisch ansprachen.

  Als sie nach dem Essen einen Brandy tranken und Kitty schweigend die Aussicht genoß, sagte Ari:

  »Finden Sie es noch immer so sonderbar, daß Sie hier sind?« »Sehr sonderbar. Das Ganze erscheint mir völlig unwirklich.«

  »Sie werden feststellen, daß wir durchaus zivilisierte Leute sind und daß ich sogar geradezu charmant sein kann — jedenfalls gelegentlich. Dabei fällt mir ein, daß ich Ihnen noch gar nicht richtig gedankt habe.«

  »Das ist auch gar nicht nötig. Sie bedanken sich auf eine sehr nette Weise, indem Sie mit mir hierhergegangen sind. Ich kann mich nur an einen Ort auf der Welt besinnen, wo es ebenso schön ist wie hier.«

  »Das ist sicherlich San Franzisko, nicht wahr?«

  »Kennen Sie denn San Franzisko, Ari?«

  »Nein. Aber alle Amerikaner sagen, daß Haifa sie an San Franzisko erinnert.«

  Es war inzwischen völlig dunkel geworden, und überall am Hang des Karmelberges brannten die Lampen. Ein kleines Orchester spielte leichte Tafelmusik. Ari schenkte Kitty noch einen Brandy ein, und sie tranken einander zu.

  Plötzlich brach die Musik ab. Die Unterhaltung verstummte Ein Lastwagen brauste heran, hielt mit kreischenden Bremsen vor dem Restaurant. Englische Soldaten sprangen ab und bildeten rings um das Lokal eine Absperrung. Sechs Soldaten, angeführt von einem Captain, kamen herein und sahen sich um. Sie gingen von Tisch zu Tisch und verlangten die Ausweise zu sehen.

  »Das ist nur das übliche«, sagte Ari leise. »Daran gewöhnt man sich hier bald.«

  Der Captain, der die Leitung des Kommandos hatte, blieb stehen, sah zu Ari hin und kam an den Tisch heran. »Tatsächlich, Ari ben Kanaan«, sagte er sarkastisch. »Wir haben Ihr Foto lange nicht auf unseren Fahndungstafeln gehabt. Wie ich höre, haben Sie inzwischen anderswo Unheil angerichtet.«

  »'n Abend, Sergeant«, sagte Ari. »Ich würde Sie gern vorstellen, wenn ich bloß auf Ihren Namen käme.«

  Der Captain lächelte mit schmalen Lippen. »Nun, ich habe jedenfalls Ihren Namen nicht vergessen. Wir passen sehr genau auf Sie auf, Ben Kanaan. Ihre alte Zelle im Gefängnis von Akko wartet auf Sie. Wer weiß, vielleicht ist der Hohe Kommissar diesmal auch bereit, Ihnen statt dessen einen Strick zu geben.« Der Captain grüßte ironisch und ging weiter.

  »Wirklich eine reizende Art, jemanden in Palästina willkommen zu heißen«, sagte Kitty. »Ein widerlicher Bursche.«

  Ari beugte sich dicht zu Kitty und sprach leise in ihr Ohr. »Das ist Captain Allan Bridges. Er ist einer der besten Freunde, den die Hagana hat. Er informiert uns über jede wichtige Bewegung der Araber oder der Engländer im Gebiet von Haifa. Das eben war alles nur Theater.«

  Kitty schüttelte verblüfft den Kopf. Die Patrouille ging hinaus und nahm zwei Juden mit, deren Ausweise nicht in Ordnung zu sein schienen. Um die Engländer zu ärgern, spielte das Orchester eine Strophe von »God save the King«.

  Der Lastwagen fuhr wieder los, und im nächsten Augenblick war es, als sei überhaupt nichts geschehen. Doch Kitty war noch leicht durch die Plötzlichkeit benommen, mit der sich alles abgespielt hatte, und sie war über die Ruhe erstaunt, mit der es die Leute hingenommen hatten.

  »Man gewöhnt sich nach einer Weile daran, in einer gespannten Atmosphäre zu leben«, sagte Ari, dem Kittys Reaktion nicht entgangen war. »Auch Sie werden sich daran gewöhnen. Wir befinden uns hier in einem Land, das voll von aufgeregten und erbitterten Leuten ist. Wenn Sie eine Zeitlang hier gelebt haben, werden Sie gar nicht mehr wissen, was Sie anfangen sollen, wenn ausnahmsweise mal eine Woche lang alles friedlich und ruhig ist. Machen Sie sich nichts daraus, daß Sie gerade einen Augenblick erwischt haben, wo —«

  Ari kam nicht mehr dazu, seinen Satz zu beenden. Die Druckwelle einer Detonation lief durch das Restaurant, ließ die Scheiben klirren und fegte da und dort Teller und Gläser von den Tischen. Im nächsten Augenblick sahen sie, wie eine riesige gelbrote Feuerkugel in den Himmel stieg, gefolgt von einer Reihe weiterer Explosionen, die das Gebäude bis zu den Grundmauern erschütterten.

  »Die Raffinerie!« rief jemand, und ein anderer: »Das waren die Makkabäer! Sie haben die Raffinerie in die Luft gehen lassen!«

  Ari ergriff Kitty hastig bei der Hand. »Kommen Sie, wir wollen hier verschwinden. In zehn Minuten wird das ganze Karmel-Tal von britischen Soldaten wimmeln.«

  Innerhalb von Sekunden leerte sich das Lokal. Ari führte Kitty rasch nach draußen. Unten bei der Raffinerie brannte das Erdöl. Die ganze Stadt war vom Sirenengeheul eiliger Löschzüge und britischer Überfallwagen erfüllt.

  Kitty lag die halbe Nacht wach und versuchte, mit den so plötzlichen und so gewaltsamen Ereignissen fertigzuwerden, die sie miterlebt hatte. Sie war froh, daß Ari bei ihr gewesen war. Ob sie sich daran gewöhnen würde, in einem Lande zu leben, wo derartige Zustände herrschten? Sie war zu verwirrt, um darüber nachzudenken, doch im Augenblick kam es ihr so vor, als sei ihr Entschluß, nach Palästina zu fahren, ein schwerer Fehler gewesen.

  Am nächsten Morgen brannte die Erdölraffinerie noch immer. Über dem ganzen Gebiet von Haifa lag dichter, dunkler Rauch. Die Vermutung, daß der Anschlag gegen die Raffinerie ein Terrorakt der Makkabäer gewesen war, bestätigte sich. Die Gruppe, die die Aktion durchgeführt hatte, war von Ben Mosche — Sohn des Moses — angeführt worden, einem Mann, der ursprünglich Professor an der Hebräischen Universität gewesen war, bevor er sich den Makkabäern angeschlossen hatte und dort zu Akibas Stellvertreter aufgestiegen war. Außerdem wurde bekannt, daß gleichzeitig mit der Sprengung der Raffinerie ein zweites Kommando der Makkabäer in einem anderen Teil von Palästina einen Überfall auf den Flugplatz Lydda unternommen und dabei Spitfire-Jäger im Werte von sechs Millionen Dollar am Boden zerstört hatte. Mit dieser Doppelaktion hatten die Makkabäer der Exodus auf ihre Weise den Willkommensgruß entboten.

  Ari war es gelungen, einen kleinen Wagen aufzutreiben, einen Fiat, Baujahr 1939. Die Fahrt nach Tel Aviv dauerte unter normalen Verhältnissen nur ein paar Stunden. Da er es jedoch noch nie erlebt hatte, daß die Verhältnisse normal waren, schlug er Kitty vor, schon frühmorgens von Haifa loszufahren. Sie fuhren den Hang des Karmelberges hinunter und dann die Straße an der Küste von Samaria entlang. Kitty war beeindruckt davon, wie grün und fruchtbar die Felder der Kibbuzim am Rande des Meeres dalagen. Ihr frisches Grün wurde durch den Gegensatz zu dem toten Braun der Berge und dem stumpfen Glast der Sonne noch leuchtender. Kurz hinter Haifa trafen sie auf die erste Straßensperre. Ari hatte Kitty darauf vorbereitet. Sie beobachtete ihn dabei von der Seite. Er machte ein Gesicht, als störte es ihn überhaupt nicht, obwohl ihn viele der englischen Kontrollposten kannten und zu ärgern versuchten, indem sie ihn daran erinnerten, daß er nur vorübergehend amnestiert war.

  Ari verließ die Hauptstraße und fuhr zu den Ruinen der alten Hafenstadt Caesarea. Man hatte ihnen in der Pension Brote mitgeg
eben, und sie setzten sich auf die uralte Mole und aßen. Ari zeigte Kitty Sdot Yam — die Fischersiedlung, in der Joab Yarkoni zu Haus war —, und er zeigte ihr, wie die Araber ihre Stadt aus Ruinen erbaut hatten, die teils aus der Zeit der Römer, teils aus der Zeit der Kreuzritter stammten. Die Araber, erklärte er ihr, seien Fachleute darin, sich der zivilisatorischen Leistungen anderer Völker zu bedienen. In ganz Palästina hätten sie im Verlauf von tausend Jahren nur eine einzige völlig neue Stadt errichtet.

  Dann fuhren sie in südlicher Richtung weiter nach Tel Aviv. Auf der Straße war wenig Verkehr. Von Zeit zu Zeit begegneten sie einem Bus, der entweder nur Araber oder nur Juden beförderte, oder einem der überall anzutreffenden Eselskarren. Gelegentlich überholte sie eine britische Wagenkolonne, die mit gellenden Sirenen eilig vorbeifuhr. Sie kamen durch Landstriche, die von Arabern bewohnt waren, und Kitty fiel auf, wie anders die Ortschaften und Felder hier aussahen. Auf den Feldern arbeiteten Frauen, und der Boden war voller Steine und unfruchtbar. Am Rand der Straße gingen Araberinnen, vermummt und durch lange Gewänder behindert, und mit schweren Lasten, die sie auf den Köpfen balancierten. Die Kaffeehäuser an der Straße waren voll von Männern, die träge herumsaßen oder am Boden lagen und Puff spielten. Hinter Sichren Yakow kamen sie an dem ersten Teggart-Fort vorbei, einem finster wirkenden, von Stacheldraht umgebenen Bauwerk. Ein Stück weiter, bei Chedera, kamen sie an dem nächsten Fort vorbei, und dann schienen die Teggart-Forts bei jedem Ort und jeder Straßenkreuzung aufzutauchen.

  Hinter Chedera, in der Ebene von Scharon, war das Land noch grüner und fruchtbarer. Sie fuhren zwischen australischen Eukalyptusbäumen entlang, die sich zu riesigen Bogengängen über ihnen wölbten.

  »Alles, was Sie hier sehen, war vor fünfundzwanzig Jahren noch wüst und öde«, sagte Ari.

  Am Nachmittag erreichten sie Tel Aviv — den Frühlingshügel. Die Stadt erhob sich am Rande des Mittelmeeres in so strahlendem Weiß, daß es den Augen fast wehtat. Ari fuhr durch breite, mit Bäumen gesäumte Boulevards, vorbei an langen Reihen hypermoderner Appartementhäuser. Die Stadt war erfüllt von geschäftigem Leben und Treiben. Kitty fand Tel Aviv vom ersten Augenblick an wunderbar. Ari hielt vor dem Gat-Rimon-Hotel, das in der Hayarkon-Straße, direkt am Meer, lag.