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Exodus Page 39


  Ari sprang auf den Karren und fuhr los zum Tor nach Yad El. Sara ging in ihr Schlafzimmer und weinte leise vor sich hin, während sie ihrem Sohn nachsah, der die Straße entlangfuhr und schließlich verschwand.

  Barak tat etwas, was er viele, viele Jahre lang nicht getan hatte. Er setzte sich in eine Ecke und las in der Bibel.

  Auch diesmal kamen die Araber wieder aus ihrem Hinterhalt hervor, als Ari auf dem Rückweg nach Yad El ein Stück außerhalb von Ata war. Diesmal hielt Ari die Augen offen und war auf der Hut vor der Gefahr. Er dachte an die Worte seines Vaters und blieb ganz ruhig. Als die ersten Steine geflogen kamen, sprang er mit einem Satz vom Wagen, nahm sich den Anführer der Araber aufs Korn, ließ den mächtigen Ochsenziemer pfeifend durch die Luft sausen, daß sich das Ende um den Hals des Arabers wickelte, und riß ihn mit einem Ruck zu Boden. Dann ließ er das Leder mit solchem Schwung heruntersausen, daß es seinem Gegner ins Fleisch schnitt. Das alles ging sehr rasch.

  Barak ben Kanaans Gesicht wurde bleich, als die Sonne zu sinken begann und Ari noch immer nicht zurück war. Zitternd stand er am Tor von Yad El. Endlich sah er den Eselskarren auf der Straße herankommen, und sein Gesicht begann zu strahlen. Ari hielt bei seinem Vater an.

  »Nun, Ari, wie war die Fahrt?«

  »Ganz in Ordnung!«

  »Ich werde die Säcke abladen. Du gehst vielleicht besser gleich zu deiner Mutter. Sie scheint sich aus irgendeinem Grund Sorgen gemacht zu haben.«

  Ari ben Kanaan hatte nicht nur die Statur seines Vaters; er war ihm auch im Wesen sehr ähnlich. Er war von der gleichen Besonnenheit und Entschiedenheit, und auch er hielt es für wichtig, den arabischen Nachbarn genauer kennenzulernen. Taha blieb einer seiner nächsten Freunde, und auch allen anderen Arabern begegnete er mit Verständnis und Teilnahme.

  Ari verliebte sich in ein Mädchen namens Dafna, deren Familie ganz in der Nähe auf einem Bauernhof lebte. Niemand wußte genau, wie und wann es eigentlich passiert war, doch es stand für alle fest, daß Ari und Dafna eines Tages heiraten würden. Die beiden hatten nur füreinander Augen.

  Die kleine rothaarige Jordana war ein sehr lebhaftes Mädchen, wild und eigensinnig. In vieler Weise war sie typisch für die in Palästina geborenen Kinder der Neusiedler. Die Eltern dieser Kinder, die im Ghetto aufgewachsen waren und erfahren hatten, wie schlimm und erniedrigend es oft war, Jude zu sein, waren entschlossen, dieses Gefühl der neuen Generation zu ersparen. Sie taten des Guten fast zuviel, ständig bestrebt, ihre Kinder zu freien und furchtlosen Menschen zu erziehen.

  Im Alter von fünfzehn Jahren gehörte Ari der Hagana an, der geheimen jüdischen Armee. Im Alter von dreizehn Jahren verstand Dafna, mit einem halben Dutzend Waffen umzugehen; denn diese Generation, die einen neuen Typ von Juden darstellte, war zugleich eine Generation, die mit einem geschichtlichen Auftrag heranwuchs, der noch wichtiger und schwieriger war als die Aufgabe der zweiten und dritten Aliyah-Welle.

  Die Hagana war inzwischen stark genug geworden, um dämpfend und besänftigend auf die Störungsmanöver des Mufti zu wirken. Doch sie war nicht in der Lage, dem Übel an die Wurzel zu gehen. Die Engländer setzten abermals Untersuchungsausschüsse ein, und abermals wurden die Araber reingewaschen.

  Die britische Ängstlichkeit führte dazu, daß der Mufti dreister wurde.

  Kurze Zeit, nachdem die Unruhen abgeklungen waren, berief Hadsch Amin el Husseini führende Moslems aus aller Welt zu einem Kongreß nach Jerusalem. Er konstituierte eine Panarabische Föderation, an deren Spitze er selbst stand und proklamierte seinen Kampf zur Verteidigung des Islams gegen Engländer und Juden. Die Vernichtung der jüdischen Heimstätte wurde als »heilige Mission« aller Araber erklärt. Doch während die arabischen Demagogen Brandreden hielten und bald gegen die Engländer, bald gegen die Juden wetterten, nahmen die Engländer alles schweigend hin.

  Im Jahre 1933 traf die Juden ein neuer schwerer Schlag, als Adolf

  Hitler und die Nazis in Deutschland an die Macht kamen. Wieder einmal wurde die Notwendigkeit einer nationalen Heimat für die Juden, wurde die Richtigkeit der zionistischen Idee bestätigt. Es zeigte sich, daß der Judenhaß überall auf der Welt erneut aufflammen konnte. Herzl hatte es gewußt, und jetzt war sich jeder Jude darüber klar.

  Die deutschen Juden, die vor Hitler flohen, waren anders als die Juden aus dem Ghetto und aus Osteuropa. Sie waren keine überzeugten Anhänger des Zionismus, sondern hatten sich weitgehend assimiliert und in die deutsche Gesellschaft eingeordnet. Diese Einwanderer waren nicht Siedler oder Händler, sondern Mediziner, Juristen, Wissenschaftler und Künstler.

  Die arabischen Anführer riefen alle Araber auf, in den Generalstreik zu treten, um gegen die neue jüdische Einwanderung zu protestieren. Man versuchte auch, neue Unruhen zu inszenieren. Doch beide Bemühungen schlugen fehl. Die meisten Araber, die mit den Juden Handel getrieben hatten, taten dies auch weiterhin, weil die beiden Partner wirtschaftlich aufeinander angewiesen waren, und vielerorts arabische und jüdische Gemeinden in ähnlich enger Freundschaft miteinander lebten wie Yad El und Abu Yesha. Außerdem stand die Hagana Gewehr bei Fuß bereit, um eine Wiederholung der Ausschreitungen des Jahres 1929 zu verhindern.

  Die Engländer reagierten auf den Generalstreik mit noch mehr Gerede und weiteren Untersuchungsausschüssen. In der klaren Absicht, die aufgebrachten Araber zu beschwichtigen, beschränkten die Engländer diesmal die jüdische Einwanderung und den Erwerb von Grund und Boden durch die Juden auf ein absolutes Mindestmaß. Genau in dem Augenblick, da für die Juden die ungehinderte Einwanderung von so verzweifelter Dringlichkeit war, hielten sich die Engländer nicht mehr an ihre Zusagen.

  Der Jischuw-Zentralrat ging mit Hilfe der Hagana auf die einzig mögliche Weise dagegen an: durch illegale Einwanderung — Aliyah Bet.

  Der Mufti setzte die Engländer so lange unter Druck, bis sie der Royal Navy den Auftrag gaben, vor der Küste von Palästina eine Blockade zu errichten und die Aliyah-Bet-Schiffe aufzuhalten.

  Die Position des Mufti von Jerusalem wurde mit jedem Tag stärker. Er besaß jetzt einen mächtigen Verbündeten: Adolf Hitler. Für die Deutschen, die im Nahen Osten eigene Absichten hatten, war die Situation ideal. Was konnte es für die deutsche Propagandamaschine Besseres geben, als das Thema ausschlachten zu können, daß die Juden in Palästina das Land der Araber stahlen und dort versuchten, sich genau wie vorher in Deutschland, breitzumachen. Judenhaß und britischer Imperialismus — das war Musik für die Ohren des Mufti! Der Stern der Deutschen war im Steigen. Und endlich, endlich sah Hadsch Amin el Husseini Mittel und Wege, die Macht über die arabische Welt an sich zu reißen. Deutsches Geld begann in Kairo und Damaskus zu rollen. Die Deutschen sind eure Freunde! Werft die Briten und die Juden hinaus! Die arabische Erde den Arabern! In Kairo, Bagdad und Syrien umarmten sich Araber und Nazis und beteuerten einander ihre Freundschaft.

  Dem bedrohlich aufziehenden Unwetter gegenüber hatten die Juden in Palästina noch immer einen Trumpf in der Hand — die Hagana! Zwar distanzierte sich der Jischuw-Zentralrat offiziell von dieser geheimen Armee, doch ihr Vorhandensein und ihre Stärke waren ein offenes Geheimnis. Die Engländer wußten, daß diese geheime Streitmacht bestand und, was noch wichtiger war, auch der Mufti wußte es.

  Die Hagana hatte sich aus dem Nichts zu einer Streitmacht von mehr als fünfundzwanzigtausend Männern und Frauen entwickelt. Sie war eine reine Bürgerwehr, mit nur einigen »bezahlten« hauptamtlichen Anführern. Die Hagana verfügte über einen kleinen, aber unerhört schlagkräftigen Geheimdienst, der sich nicht nur der offenen Mitarbeit vieler englischer Offiziere erfreute, sondern sich außerdem leicht arabische Spitzel kaufen konnte. Jede Stadt, jedes Dorf, jeder Kibbuz und Moschaw hatte seine eigene Hagana-Einheit. Ein einziges Stichwort reichte aus, um tausend Männer und Frauen innerhalb weniger Minuten zu bewaffnen und kampfbereit zu machen.

  Avidan, der kahlköpfige, vierschrötige ehemalige Offizier, der an der Spitze der Hagana stand, hatte die Organisation im Verlauf von anderthalb Jahrzehnten sozusagen unter den Augen der Engländer umsichtig aufgebaut. Ihre Leistung war phantastisch: sie unterhielt einen geheimen Sender, organi
sierte die illegale Einwanderung und hatte auf der ganzen Welt ihre Agenten, die Waffen kauften und nach Palästina schmuggelten.

  Für diesen Waffenschmuggel gab es hundert verschiedene Methoden und Möglichkeiten. Ein besonders beliebtes Versteck waren Maschinen für Hoch- und Tiefbau. Fast jede Dampfwalze konnte in der Walze hundert Gewehre enthalten. Jede Kiste, jede Maschine, ja sogar Konserven und Weinflaschen, die nach Palästina hereinkamen, waren Munitionsbehälter. Es war für die Engländer unmöglich, diesen Waffenschmuggel zu unterbinden, ohne sämtliche Frachtgüter zu überprüfen, und viele Engländer ließen in den Häfen sogar absichtlich die Waffen herein.

  Obwohl alle Juden in Palästina geschlossen hinter diesem WaffenSchmuggel standen, war es dennoch nicht möglich, schwere Waffen oder auch nur ausreichende Mengen von erstklassigen leichten Waffen ins Land zu bringen. Das meiste von dem, was hereinkam, waren altmodische Gewehre und Pistolen, die in anderen Ländern ausrangiert worden waren. Kein Arsenal der Welt enthielt ein derartiges Konglomerat von Waffen, wie das der Hagana. Es befanden sich sogar Spazierstöcke darunter, aus denen man einen Schuß abgeben konnte.

  Waren die Waffen erst einmal im Lande, so stellte jeder Stuhl, Tisch oder Schreibtisch, jeder Eisschrank, jedes Bett und jedes Sofa ein mögliches Versteck dar. In jeder jüdischen Wohnung gab es wenigstens ein Schubfach mit doppeltem Boden, einen getarnten Wandschrank oder eine heimliche Falltür. Transportiert wurden die Waffen im Innern der Reservereifen von Autobussen, in Einkaufstaschen und unter Eselskarren. Die Hagana vertraute der Wohlerzogenheit der Engländer, indem sie für den Waffenschmuggel sogar Kinder verwendete und sich des sichersten aller Verstecke bediente — der Frauenröcke.

  Beim Aufbau der Hagana erwies sich der Kibbuz mit seinem Gemeinschaftscharakter als die beste Ausbildungsstätte für junge Soldaten, weil ein oder zwei Dutzend Männer von einer drei- bis vierhundertköpfigen Kollektivsiedlung leicht und unauffällig absorbiert werden konnten. Aus den Kibbuzim kam daher der beste Nachwuchs für die Hagana.

  Gleichzeitig waren die Kibbuzim auch ein hervorragendes Versteck für Waffen und ein sicherer Herstellungsort für Munition. Im übrigen erwiesen sie sich auch als ideale Plätze zur Unterbringung der illegal ins Land geschleusten Einwanderer.

  Die besondere Stärke der Hagana war, daß ihre Autorität von sämtlichen Angehörigen des Jischuw ohne jeden Einwand akzeptiert wurde. Eine Anordnung der Hagana war ein Befehl, über den es keinerlei Diskussion gab. Avidan und die anderen Anführer der Hagana achteten sorgfältig darauf, ihre Streitmacht nur zum Zwecke des Selbstschutzes einzusetzen. Die Hagana war eine Armee, die sich größter Zurückhaltung befleißigte.

  Viele Angehörige der Hagana fanden diese Zurückhaltung zu weitgehend. Das waren die Aktivisten, die die Forderung nach raschen Vergeltungsmaßnahmen erhoben.

  Akiba war einer dieser Aktivisten. Nach außen hin war er Leiter der Meierei im Kibbuz Ejn Or, in Wirklichkeit aber bekleidete er einen hohen Rang in der Hagana und war für die gesamte Verteidigung von Galiläa verantwortlich.

  Akiba war sein Alter viel deutlicher anzusehen als seinem Bruder Barak. Sein Gesicht hatte einen müden Ausdruck, und sein Bart war fast grau. Er war niemals ganz über den Tod von Ruth und Scharona hinweggekommen. In ihm war eine Bitterkeit geblieben, die Tag für Tag an ihm fraß.

  Er war der Wortführer der extremen Gruppe innerhalb der Hagana, die nach verstärkter Aktion verlangte. Und je schwieriger die Situation im Lauf der Zeit wurde, um so angriffshungriger wurde Akibas Gruppe. Als die Engländer vor der Küste von Palästina die Blockade errichteten, riß Akiba die Geduld. Er berief eine RumpfSitzung seiner Anhänger innerhalb der Hagana ein. Diese Männer waren alle ebenso zornig und verbittert wie er selbst, und sie faßten einen Entschluß, der den Jischuw in seinen Grundfesten erzittern lassen sollte.

  Im Frühjahr des Jahres 1934 erhielt Barak eine dringende Aufforderung von Avidan, nach Jerusalem zu kommen.

  »Es ist etwas Entsetzliches geschehen, Barak«, sagte Avidan. »Ihr Bruder, Akiba, hat sich von der Hagana getrennt und Dutzende unserer besten Offiziere mitgenommen. Auch aus dem Mannschaftsstand gehen die Leute in Hunderten zu ihm über.«

  Als sich Barak von seinem ersten Schreck erholt hatte, seufzte er tief und sagte: »Seit Jahren schon hat er damit gedroht. Ich bin erstaunt, daß er sich überhaupt so lange zurückgehalten hat. Jahrzehntelang hat es an ihm gefressen, seit dem Tag, an dem unser Vater umgebracht wurde. Und auch den Tod seiner Frau hat er nie verwinden können.«

  »Sie wissen«, sagte Avidan, »daß die Hälfte meiner Arbeit bei der Hagana darin besteht, unsere Jungens zurückzuhalten. Ließen wir sie gewähren, sie fingen morgen noch Krieg gegen die Engländer an. Sie und ich, wir fühlen im Grunde genauso wie Akiba, doch was er jetzt vorhat, kann uns unter Umständen alle ins Verderben stürzen. Daß wir in Palästina erreichen konnten, was wir erreicht haben, liegt unter anderem auch daran, daß wir ungeachtet unserer inneren Differenzen nach außenhin stets geschlossen aufgetreten sind. Wenn die Engländer und die Araber mit uns verhandelten, so hatten sie es sozusagen immer mit einer einzigen Person zu tun. Jetzt hat Akiba eine Bande hitziger Aktivisten um sich versammelt. Wenn diese Leute dazu übergehen sollten, Terrormethoden anzuwenden, dann wird die Gesamtheit darunter zu leiden haben.«

  Barak begab sich nach Ejn Or, das nicht weit von Yad El entfernt war. Gleich den meisten der älteren Kibbuzim hatte sich auch Ejn Or in einen wahren Garten verwandelt. Als älteres Mitglied und einer der Mitbegründer bewohnte Akiba ein separates Häuschen, dessen zwei Zimmer mit Büchern angefüllt waren. Er hatte sogar einen eigenen Radioapparat und ein eigenes WC — was in einem Kibbuz eine seltene Ausnahme darstellte.

  Barak sprach sanft auf seinen Bruder ein. Doch alles, was er vorbrachte, war für Akiba nichts Neues, und der drohende Streit mit seinem Bruder beunruhigte ihn.

  »Sieh mal an — die Herren vom Jischuw-Zentralrat haben dich vorgeschickt, damit du mir die Ohren volljammerst. Sie entwickeln sich nachgerade zu Beschwichtigungsspezialisten.«

  »Ich wäre auch ohne Aufforderung des Zentralrates zu dir gekommen«, sagte Barak, »nachdem ich erfahren hatte, was für ein wahnsinniges Unternehmen du planst.«

  Akiba ging unruhig im Raum auf und ab. Barak beobachtete ihn. Er war noch immer genauso leicht zornig und aufgebracht wie als Junge. »Ich habe nur vor«, sagte Akiba, »das zu tun, was der Zentralrat nicht zu tun wagt, obwohl er einsieht, daß es getan werden muß. Doch auch die Herren vom Zentralrat werden sich früher oder später mit den nackten Tatsachen auseinanderzusetzen haben. Die Engländer sind unsere Feinde.«

  »Wir sind nicht dieser Ansicht, Akiba. Alles in allem sind wir bisher mit den Engländern recht gut gefahren.«

  »Wenn du das im Ernst meinst, bist du ein Narr.«

  »Ich habe mich vorher falsch ausgedrückt. Die Engländer stellen die rechtmäßige Obrigkeit in Palästina dar.«

  »Und sehen ruhig zu, wie die Araber uns die Gurgel durchschneiden«, sagte Akiba voller Hohn. »Die Herren vom Jischuw-Zentralrat fahren mit ihren Aktenmappen zu Konferenzen, unterbreiten ihre bescheidenen Noten und machen artige Dienerchen, während der Mufti und seine Halsabschneider Amok laufen. Hast du die Araber schon mal verhandeln gesehen?«

  »Wir wollen unsere Ziele auf legalem Wege erreichen.«

  »Wir werden unsere Ziele nur erreichen, wenn wir bereit sind, für sie zu kämpfen!«

  »Wenn wir wirklich kämpfen müssen, dann laß uns einig sein in unserem Kampf. Du begibst dich mit dem Mufti auf eine Stufe, indem du eine Gruppe von Leuten bildest, die sich außerhalb des Gesetzes stellen. Hast du jemals bedacht, was es für Folgen haben kann, wenn die Engländer aus Palästina abziehen? Ganz gleich, wie bitter deine Gefühle sind — und auch meine —, die Engländer sind immer noch entscheidend für uns, wenn wir einen Nationalstaat erreichen wollen.«

  Akiba winkte ablehnend mit der Hand. »Wir werden den Nationalstaat auf die gleiche Weise erreichen, wie wir dieses Land erschlossen haben — durch unseren Schweiß und unser Blut. Ich lehne es ab, dazusitzen und abzuwarten, bis uns die Engländer etwas schenken.«

>   »Zum letztenmal, Akiba — tu das nicht, was du vorhast. Du bietest unseren Feinden damit nur die Möglichkeit, mit Fingern auf uns zu zeigen und ihre Lügenpropaganda noch mehr zu verstärken.«

  »Aha!« rief Akiba. »Damit wären wir beim Kern des ganzen Problems angelangt! Die Juden müssen die Spielregeln befolgen! Die Juden dürfen nichts Unrechtes tun! Sie müssen bitten und appellieren! Sie müssen dem, der ihnen einen Backenstreich gibt, auch noch die andere Backe hinhalten.«

  »Hör auf damit!« sagte Barak.

  »Um Gottes willen, nur das nicht!« rief Akiba. »Tut, was ihr wollt, nur kämpft um Gottes willen nicht! Ihr könnt doch unmöglich wünschen, daß die Deutschen und die Araber und die Engländer euch für böse Buben halten.«

  »Hör auf, hab' ich gesagt!«

  »Weißt du, was du bist, Barak? Ein Ghetto-Jude. Das ist es, was du bist und was all die anderen Leute vom Zentralrat sind. Aber laß dir etwas von mir gesagt sein, lieber Bruder. Du siehst hier einen Juden vor dir, der vielleicht unrecht haben mag, der aber entschlossen ist, sich seiner Haut zu wehren. Soll doch die ganze verdammte Welt der Meinung sein, daß wir unrecht haben!«

  Barak zitterte vor Wut. Er saß regungslos da und versuchte, seine Erregung zu verbergen. Akiba sprach weiter und machte seinem zornigen Herzen Luft. Hatte Akiba wirklich unrecht? Wieviel Leid und Erniedrigung, wieviel Schmerz und Verrat mußte ein Mensch hinnehmen, bevor er zurückschlug?

  Barak stand auf und ging zur Tür.

  »Sage Avidan und den Herren vom Jischuw-Zentralrat und all den anderen Schwächlingen, die immer nur verhandeln wollen, Akiba und die Makkabäer hätten eine neue Botschaft für die Engländer und die Araber. Diese Botschaft heißt: Auge um Auge, Zahn um Zahn!« »Du wirst von heute an mein Haus nicht mehr betreten«, sagte Barak.

  Die beiden Brüder starrten sich lange an. Akiba stiegen die Tränen in die Augen. »Ich soll dein Haus nicht mehr betreten?« fragte er. Barak blieb stumm und rührte sich nicht.