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  Auch die britische Verwaltung tat viel. Straßen wurden gebaut. Schulen und Krankenhäuser errichtet. Bei den Gerichten wurde Recht gesprochen. Balfour in eigener Person kam nach Jerusalem und legte auf dem Scopusberg den Grundstein zu einer neuen hebräischen Universität.

  Zur Regelung der Belange des Jischuw wählten die Juden eine vertretende Körperschaft. Diese Jischuw-Zentrale war eine kommissarische Regierung geworden mit der Funktion, alle Juden zu vertreten, mit den Arabern und den Engländern zu verhandeln und als Bindeglied zu der Zionistischen Siedlungsgesellschaft und zu den Zionisten in aller Welt zu dienen. Sowohl der Jischuw-Zentralrat als auch die Zionistische Siedlungsgesellschaft errichteten ihre Hauptbüros in dem neuerbauten Verwaltungszentrum von Jerusalem. Barak ben Kanaan, ein angesehener Mitbürger der älteren Generation, wurde in den Jischuw-Zentralrat gewählt. Er versah dieses Amt und setzte gleichzeitig seine Arbeit bei der Zionistischen Organisation fort.

  Doch die Lage begann sich bedrohlich zuzuspitzen. Palästina wurde mehr und mehr zum Mittelpunkt eines gigantischen Spiels um die Macht.

  Der erste Akt dieses Spiels war die Veröffentlichung eines Geheimabkommens, das die Franzosen mit den Engländern in der Absicht getroffen hatten, den Nahen Osten zwischen sich aufzuteilen. Dieses Dokument wurde erstmalig von russischen Revolutionären in den Geheimakten des Zaren entdeckt und von ihnen veröffentlicht, um die Engländer und die Franzosen in Verlegenheit zu bringen.

  Die Abmachungen dieses Geheimabkommens befanden sich in offenem Widerspruch zu den früheren Versprechungen der Engländer, die Unabhängigkeit der Araber zu garantieren. Die Araber fühlten sich betrogen. Zwar machten die Engländer alle Anstrengungen, die aufgeregten Gemüter zu beschwichtigen, doch die Befürchtungen der Araber erwiesen sich späterhin als berechtigt, als England und Frankreich auf der Konferenz von San Remo die nahöstliche Torte aufteilten und England den Löwenanteil für sich beanspruchte. Frankreich gelang es, die syrische Provinz und eine Ölleitung von den reichhaltigen Erdölfeldern des Mossul-Gebietes für sich zu gewinnen.

  Unter den Ottomanen hatten auch Palästina und der Libanon zur Provinz Syrien gehört, und die Franzosen leiteten daraus für sich das Recht auf den Norden von Palästina ab. Doch die Engländer waren eisern. Auch sie wollten Haifa als Endstation einer Ölleitung vom Mossul-Gebiet haben, und sie machten geltend, daß das ganze Land auf Grund der Balfour-Deklaration und angesichts der besonderen Situation Palästinas als einer den Juden versprochenen Heimstätte unter britischer Oberhoheit bleiben müsse. Daraufhin kauften sich die Franzosen mehrere Stämme syrischer Araber, die in Palästina Unruhe erzeugen und einen möglichst großen Teil von Nordpalästina an sich bringen sollten, bevor die endgültigen Grenzen festgelegt waren. Die Juden, die sich in das Hule-Gebiet vorgewagt hatten, die Siedler von Kfar Gileadi, saßen in der Falle. Die von den Franzosen gekauften Araber machten einen Angriff auf Tel Chaj — jenen Berg, über den die beiden Brüder Rabinski einst nach Palästina gekommen waren, um den Franzosen ein Argument für ihre Gebietsansprüche zu liefern.

  Joseph Trumpeldor, der ob seines Schlachtenruhms legendäre jüdische Kriegsmann, schlug sich bei Tel Chaj wie ein Held. Er selbst fand den Tod, doch Tel Chaj wurde gehalten, die Juden blieben in Kfar Gileadi, und das Hule-Tal verblieb innerhalb des britischen Mandats.

  Der nächste, der den Franzosen Schwierigkeiten bereitete, war Faisal, der Sohn des Scherifs von Mekka und Anführer der angeblichen arabischen Revolte im ersten Weltkrieg. Faisal kam nach Damaskus, setzte sich hier auf den Thron und rief sich selbst zum König eines neuen großarabischen Staates und zum neuen Oberhaupt des Islams aus. Die Franzosen verjagten ihn aus Syrien. Faisal begab sich nach Bagdad, wo ihm die Engländer bessere Behandlung zusicherten. Sie belohnten ihren treuen Diener, indem sie aus der Provinz Mesopotamien einen neuen Staat machten. In diesem neuen Staat, dem sie den Namen Irak gaben, setzten sie Faisal als König ein.

  Faisal hatte einen Bruder namens Abdullah, den man gleichfalls belohnen mußte. Ohne hierzu vom Völkerbund autorisiert zu sein, machten die Engländer aus einem Teil des Mandatsgebietes von Palästina einen weiteren neuen Staat. Sie nannten ihn Transjordanien und setzten Abdullah als Emir ein. Sowohl Faisal als auch Abdullah waren Todfeinde von Ibn Saud, der es abgelehnt hatte, den Engländern im ersten Weltkrieg zu helfen.

  So ergab sich für die Engländer alles zum Besten. Im Irak und in Transjordanien, ihren beiden Neuschöpfungen, saßen britische Marionetten auf dem Thron. Die Engländer hatten Ägypten, den Suez-Kanal, die Erdölfelder des Mossul-Gebietes und das PalästinaMandat. Außerdem hatten sie an verschiedenen Stellen der arabischen Halbinsel ein Dutzend »Protektorate«.

  Mit Palästina war die Sache schon schwieriger. Dort konnte man keine britischen Marionetten einsetzen. Die Balfour-Deklaration war von der ganzen Welt ratifiziert worden. Darüber hinaus waren die Engländer auch durch die Bestimmungen des Mandats verpflichtet, hier eine jüdische Heimstätte zu schaffen. Außerdem hatten ihnen die Juden eine demokratisch gewählte Quasi-Regierung präsentiert, den Jischuw-Zentralrat, die einzige demokratische Körperschaft, die es im gesamten Gebiet des Nahen Ostens gab.

  Barak ben Kanaan, Chaim Weizmann und eine Reihe weiterer führender Zionisten traten mit Faisal, dem damaligen Oberhaupt der arabischen Welt, zu einer Verhandlung von historischer Bedeutung zusammen. Zwischen den Juden und den Arabern wurde ein gegenseitiger Freundschaftspakt abgeschlossen, durch den sich beide Seiten verpflichteten, die Interessen der anderen zu respektieren. Die Araber begrüßten die Rückkehr der Juden und erkannten ihre historischen Rechte auf Palästina und ihr menschliches Recht auf eine Heimat an. Außerdem erklärten die Araber offen, daß sie die Urbarmachung des Bodens durch die Juden und das »Hebräische Gold«, das sie ins Land brachten, durchaus begrüßten. Genau wie in allen anderen Teilen der arabischen Welt gab es auch in Palästina keine repräsentative arabische Regierung. Als die Engländer die Araber aufforderten, eine vertretende Körperschaft zu bilden, begann der übliche innerarabische Streit. Die verschiedenen Interessengruppen einflußreicher Familien mit großem Grundbesitz vertraten jeweils nur einen kleinen Bruchteil des arabischen Volkes. Die mächtigste dieser Familien war der El-Husseini-Klan, der im Gebiet von Jerusalem große Ländereien besaß. Das Oberhaupt dieses Klans, vor dem alle anderen arabischen Großgrundbesitzer eine Heidenangst hatten, war der verschlagenste, hinterhältigste Intrigant in diesem Teil der Welt, der dafür bekannt war, daß es hier verschlagene und hinterhältige Intriganten gab. Sein Name war Hadsch Amin el Husseini. Hadsch Amin, der ursprünglich auf Seiten der Türken gekämpft hatte, hielt nach dem Sturz des Reiches der Ottomanen seine Chance für gekommen, um an die Macht zu gelangen, genau wie ein Dutzend anderer Führer in den verschiedenen Teilen der arabischen Welt. El Husseini aber hatte einen Klan von Teufeln hinter sich.

  Durch einen ersten Schachzug wollte er Palästina in die Hand bekommen. Es erschien ihm als die richtige Eröffnung, sich zunächst einmal in die Stellung des Mufti von Jerusalem hineinzumanövrieren. Jerusalem wurde in seiner Bedeutung als heilige Stadt des Islams nur von Mekka und Medina übertroffen. Nach dem Fall der Ottomanen wurde die Stellung des Mufti von Jerusalem, die bis dahin hauptsächlich ein Ehrenamt gewesen war, innerhalb der Welt des Islams sehr bedeutend. Moslems in aller Welt sandten riesige Geldspenden für die Erhaltung der heiligen Stätten. Über diese Gelder, die früher von Konstantinopel verwaltet worden waren, sollte nunmehr der Mufti von Jerusalem verfügen. Wenn es Hadsch Amin gelang, sich dieses Postens zu bemächtigen, konnte er diese Gelder dazu verwenden, um seine eigenen Ziele weiterzuverfolgen. Und noch aus einem anderen Grund wünschte er sich das Amt des Mufti. Die Fellachen von Palästina waren zu neunundneunzig Prozent Analphabeten. Die einzige Möglichkeit zur Massenbeeinflussung war die Kanzel. Die Fellachen neigten dazu, auf die leiseste Aufforderung hin mit einem hysterischen Ausbruch zu reagieren, und diese hysterische Reizbarkeit konnte unter Umständen ein wirksames politisches Machtmittel darstellen.

  Als der alte Mufti starb, wurde ein Nachfolger gewählt. Die Effendis, denen Hadsch Amins Machtgelüste bekannt waren,
hüteten sich wohlweislich, ihm ihre Stimme zu geben. Er kam erst an vierter Stelle. Das schreckte ihn jedoch wenig, denn die Angehörigen seines Klans waren eifrig damit beschäftigt, die drei anderen Kandidaten, die mehr Stimmen bekommen hatten, kräftig unter Druck zu setzen und sie zu »überreden«, auf die Annahme des Amtes zu verzichten. So wurde Hadsch Amin el Husseini tatsächlich, sozusagen durch Versäumnisurteil, Mufti von Jerusalem.

  Das größte Hindernis für die Verwirklichung seiner Pläne erblickte er in der Rückkehr der Juden nach Palästina. Bei Gelegenheit eines kirchlichen Festes, das die Mohammedaner zur Erinnerung an die Geburt von Moses begehen, stachelte Hadsch Amin el Husseini in seiner Eigenschaft als Mufti die Fellachen zum Haß gegen die Juden auf. Der Mob wurde hysterisch, und die Folge war ein Pogrom! Der Mob ging in seiner Hysterie allerdings nicht so weit, seine Wut gegen die Städte und die Kibbuzim zu richten, also gegen Orte, wo die Juden in der Lage waren, sich zur Wehr zu setzen. Statt dessen erschlugen sie wehrlose Juden, fromme alte Leute in den heiligen Städten Safed, Tiberias, Hebron und Jerusalem.

  Ruth, die zu Besuch in Schoschana gewesen war und sich auf dem Rückweg nach Ejn Or befand, war gerade in Tiberias, als der Aufruhr ausbrach. Sie hatte ihre kleine Tochter Scharona bei sich. Beide kamen ums Leben.

  Es dauerte Monate, bis es Akiba gelang, seinen bitteren Schmerz zu überwinden. Doch der Schmerz hinterließ eine tiefe und schwärende Narbe, die nie mehr wieder ganz heilen sollte.

  Viele der Siedlungen hatten den Engländern, als diese die Verwaltung des Mandatsgebietes übernahmen, ihre Waffen übergeben. Wären die Araber darauf verfallen, diese Siedlungen anzugreifen, hätten sie wehrlose Menschen niedergemetzelt. Die Engländer waren für die Aufrechterhaltung der Ordnung verantwortlich, und die Juden von Palästina erwarteten von ihnen, daß sie die Araber zur Räson bringen und die Verbrecher zur Rechenschaft ziehen würden. Die Engländer bildeten einen Untersuchungsausschuß, und Hadsch Amin el Husseini wurde für schuldig befunden. Doch man gewährte ihm Pardon!

  Unmittelbar danach faßte das britische Kolonialamt einen Beschluß, durch den die jüdische Einwanderung nach Palästina auf das Maß des »ökonomisch Tragbaren« beschränkt wurde. Dies geschah zur gleichen Zeit, als der neue Staat Transjordanien entstand. Für den Jischuw bedeutete es das Ende eines geschichtlichen Abschnitts. Die Periode des britischen Wohlwollens war vorüber. Der Jischuw-Zentralrat und die Zionistische Siedlungsgesellschaft beriefen eine geheime Versammlung nach Tel Aviv ein, an der fünfzig der führenden Jischuw-Mitglieder teilnahmen. Chaim Weizmann kam mit dem Flugzeug von London. Barak war dabei, ebenso Akiba, noch immer voll schmerzlicher Trauer. Auch Jitzchak ben Zwi war anwesend.

  Unter den Teilnehmern befand sich ein junger Mann von gedrungenem Körperbau, mit buschigen Augenbrauen, der unter den Juden der zweiten Aliyah-Welle eine führende Stellung eingenommen hatte. Er hieß David ben Gurion. Viele waren der Meinung, daß dieser feurige Zionist, der ständig die Bibel zitierte, dazu ausersehen sei, Führer des Jischuw zu werden. Außerdem war da ein Mann namens Avidan, der mit der dritten Aliyah-Welle gekommen war, ein bärenstarker Kerl mit einem kahlen Schädel. Avidan war nach Palästina gekommen, nachdem er sich im Kriege als russischer Offizier hervorgetan hatte. Er stand an kriegerischem Ruhm nur dem gefallenen Helden Trumpeldor nach, und es hieß von ihm, daß er dazu ausersehen sei, Führer einer jüdischen Verteidigungs-Streitmacht zu werden.

  Barak ben Kanaan bat um Ruhe und ergriff das Wort. Die in dem Kellerraum versammelten Männer hörten ihm grimmig und mit gespannter Aufmerksamkeit zu. Barak rief ihnen das Unglück in Erinnerung, das jeder von ihnen zu erleiden hatte, nur, weil er als Jude zur Welt gekommen war. Und jetzt hatte sich hier, wo sie gehofft hatten, frei von Verfolgung zu sein, ein Pogrom ereignet. Chaim Weizmann sprach für eine Gruppe, die der Ansicht war, die Engländer seien die anerkannte Obrigkeit; man müsse mit ihnen offen und auf legalem Wege verhandeln. Für die Verteidigung seien die Engländer verantwortlich.

  Eine andere, ausgesprochen pazifistische Gruppe war der Meinung, es gäbe nur noch mehr Schwierigkeiten mit den Arabern, wenn man die Juden bewaffnete.

  In extremer Opposition hierzu befanden sich die von Akiba vertretenen Aktivisten, die die Forderung nach rascher und erbarmungsloser Vergeltung erhoben. Sie vertraten die Ansicht, das Wohlwollen und der Schutz der Engländer stellten eine Illusion dar. Die Engländer würden nur ihre eigenen Interessen verfolgen; mündliche oder schriftliche Proteste hätten auf die Araber niemals die gleiche Wirkung wie ein geladenes Gewehr.

  Die erregte Debatte ging bis tief in die Nacht, ohne daß die besonders streitlustigen Juden erlahmt wären. Die Engländer wurden verdammt und gepriesen. Die Pazifisten mahnten zur Vorsicht, während die Aktivisten Palästina das »zweimal Gelobte Land« nannten: Einmal den Juden und einmal den Arabern versprochen.

  Gegenüber diesen beiden extremen Denkungsweisen befürworteten Ben Gurion, Ben Kanaan, Avidan und viele andere einen realistischen mittleren Kurs. Sie erkannten zwar die Notwendigkeit an, daß sich die Juden bewaffneten, wünschten aber gleichzeitig, die jüdischen Interessen auf legalem Wege zu verfechten. Diese Männer, die in der Mehrheit waren, beschlossen als Vertreter des Jischuw, daß sich die Juden heimlich bewaffnen und eine Miliz aufstellen sollten. Diese Miliz sollte einzig und allein zum Zwecke der Verteidigung eingesetzt werden. In der Öffentlichkeit sollten alle offiziellen Stellen jede Kenntnis von der Existenz dieser jüdischen Wehrmacht leugnen, sie insgeheim aber fördern. Diese geheime Truppe sollte ein stummer Partner der Juden bei ihren Bemühungen sein, die Araber in Schranken zu halten und mit den Engländern weiter zu verhandeln.

  Als Chef dieser geheimen Organisation wurde durch Abstimmung Avidan eingesetzt. Man gab ihr den Namen Hagana: Selbstschutz.

  XIII.

  Die Männer und Frauen der dritten Aliyah-Welle zogen in das kürzlich erworbene Land im Jesreel-Gebiet. Sie gingen in das Scharon-Tal und nach Samaria, in die Berge von Judäa und nach Galiläa, und sie gingen sogar nach Süden in die Wüste. Überall erweckten sie die Erde aus ihrer langen Erstarrung zu neuem Leben. Sie kamen mit Traktoren, und sie intensivierten die landwirtschaftliche Nutzung des Bodens durch Fruchtfolge, Kunstdünger und künstliche Bewässerung. Zusätzlich zu den Weintrauben, den Oliven und den Zitrusfrüchten, die für den Export bestimmt waren, bauten sie Korn und Gemüse an, Flachs und Obst, errichteten sie Hühnerhöfe und Meiereibetriebe. Sie experimentierten, um neue Anbaumöglichkeiten zu entdecken, und erzielten bei dem, was man bisher angebaut hatte, größere Ernten. Sie drangen bis zum Toten Meer vor. Sie nahmen alkalische Böden in Bearbeitung, auf denen seit vierzigtausend Jahren nichts gediehen war, und auch diese Erde machten sie wieder fruchtbar. Sie legten Teiche an und betrieben Fischzucht. Sie pflanzten eine Million Bäume, die in zehn, in zwanzig oder in dreißig Jahren die Verwitterung des Bodens verhindern sollten.

  Um die Mitte der Zwanziger Jahre bearbeiteten in rund hundert Siedlungen mehr als fünfzigtausend Juden über eine halbe Million Dunam neu erschlossenen Bodens. Die meisten dieser Juden trugen die blauen Kittel des Kibbuz. Die Kibbuz-Bewegung, dieses Kind der Notwendigkeit, wurde zur Lösung des gesamten SiedlungsProblems. Diese genossenschaftlichen Siedlungen waren in der Lage, viele der neuen Einwanderer aufzunehmen.

  Doch es war nicht jedem gegeben, sich an das Leben in einem Kibbuz zu gewöhnen. Vielen Frauen, die für Selbständigkeit und Gleichberechtigung kämpften, gefielen diese Errungenschaften nicht mehr, wenn sie sie erst einmal hatten. Andere nahmen Anstoß daran, daß es kein Privatleben gab, und wieder andere waren mit der Einrichtung der Kinderheime nicht einverstanden. Zwar waren sich alle Juden in Palästina darüber einig, daß Grund und Boden nationales Eigentum waren und eigenhändig bearbeitet werden sollten, aber viele Siedler lehnten das Leben in einem Kibbuz ab, weil der einzelne nicht ein Fleckchen Erde besaß, das er wirklich sein eigen nennen konnte. So spaltete sich von der KibbuzBewegung eine kleine Gruppe ab, die sich die Moschaw-Bewegung nannte.

  In einem Moschaw hatte jeder ein eigenes Stück Land und ein eigenes Haus. Auch hier wurden, ganz wie in einem Kibbuz, alle Geme
inschaftsbelange zentral geregelt und verwaltet, und alle Traktoren, Dreschmaschinen und dergleichen waren Eigentum des gesamten Moschaw. Gewisse lebensnotwendige Feldfrüchte wurden von allen Mitgliedern des Moschaw gemeinsam angebaut. Es gab eine zentrale Agentur, die den gesamten Einkauf und Verkauf vornahm.

  Der wesentliche Unterschied aber war das Maß individueller Freiheit und der Umstand, daß ein Mann mit seiner Familie in seinem eigenen Hause lebte und mit seinem eigenen Boden so wirtschaften konnte, wie es ihm am besten schien. Nachteilig an dem Moschaw war, daß er nicht solche Mengen neuer Einwanderer aufnehmen konnte wie der Kibbuz; doch beide Bewegungen wuchsen und gediehen.

  In dem Maße, wie der Jischuw wuchs, wuchs auch die Vielfalt und die Schwierigkeit der kommunalen Verwaltung. Für Barak ben Kanaan, dessen Rat man in vielen Fragen einholte, nahm die Arbeit kein Ende.

  Zu neuen Ausbrüchen gegen die Juden war es zwar nicht gekommen, doch schwelte eine heimliche Unruhe. Jeder Tag brachte die Nachricht von einem neuen Diebstahl, einem Überfall oder einem Schuß aus dem Hinterhalt. Der Mufti, der finstere Hadsch Amin el Husseini, sorgte durch seine gehässigen Kanzelreden dafür, daß beständige Spannung in der Luft lag.

  Eines Tages — es war im Jahre 1924 — kam Barak nach einer besonders anstrengenden Woche im Jischuw-Zentralrat von Jerusalem nach Tel Aviv zurück. Er war jedesmal froh und glücklich, wenn er nach Haus kam, in die Drei-Zimmer-Wohnung auf der Hayarkon-Straße, von wo aus man den Blick auf das Mittelmeer hatte. Diesmal war er erfreut und überrascht, seinen alten Freund Kammal zu treffen, den Muktar von Abu Yesha, der in seiner Wohnung auf ihn wartete.