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Exodus Page 3


  Sie erhob sich, stand groß und aufrecht da, und die Tränen liefen ihr die Wangen hinunter. »Ich riß aus, ging nach New York. Versuchte mich in der Masse zu verlieren. Ich wohnte in einem kleinen Zimmer — ein Tisch, ein Stuhl, eine Glühbirne.« Sie lachte kurz und ironisch. »Es fehlte nicht einmal das Neonschild draußen vor dem Fenster, das an- und ausging. Alles dran, nicht wahr? Ich ging stundenlang ziellos durch die Straßen, bis sich all die Gesichter undeutlich verwischten, oder ich saß einfach da und sah aus dem Fenster, tagelang. Tom, Sandra, Tom, Sandra — der Gedanke an sie verließ mich keinen Augenblick.«

  Kitty fühlte Mark hinter sich. Seine Hände ergriffen ihre Schultern. Draußen auf dem Wasser näherte sich der Schleppfischer der Hafeneinfahrt. Sie rieb ihre Wange an Marks Hand.

  »Eines Abends hatte ich zu viel getrunken. Du kennst mich, ich kann schrecklich viel vertragen. Ich sah einen Jungen, der eine grüne Uniform anhatte, wie die von Tom. Er war allein, und er war groß und gut gewachsen — wie Tom. Wir haben dann zusammen weitergetrunken. Ich erwachte in einem billigen, schmutzigen Hotelzimmer — irgendwo, keine Ahnung. Ich war immer noch halb betrunken. Ich wankte zum Spiegel und sah mich im Spiegel an. Ich war nackt. Der Junge war auch nackt — lag quer über dem Bett.« »Herrgott noch mal, Kitty, nun laß doch ...«

  »Nein, Mark, schon gut — laß mich zu Ende erzählen. Ich stand und sah in den Spiegel — wie lange, weiß ich nicht. Ich war unten angelangt, am tiefsten Punkt meines Lebens. Weiter hinunter konnte ich nicht mehr. Das hier — das war das Ende. Der Junge war bewußtlos — seltsam, ich erinnere mich nicht einmal mehr an seinen Namen. Ich sah seine Rasierklingen im Bad liegen, und ich sah das Rohr der Gasleitung, und eine Minute lang oder vielleicht auch eine Stunde — ich weiß nicht mehr, wie lange, stand ich am Fenster und sah hinunter auf den Bürgersteig, der zehn Stockwerke tiefer lag. Ich war am Ende meines Lebens angelangt, doch ich hatte nicht die Kraft, Schluß zu machen. Und dann geschah etwas Seltsames, Mark. Ich wußte plötzlich, daß ich weiterleben würde, auch ohne Tom und Sandra, und auf einmal war der Schmerz vorbei.«

  »Kitty, liebe Kitty — ich habe so nach dir gesucht, und ich wollte dir so gern helfen.«

  »Ich weiß. Aber das war etwas, mit dem ich allein fertig werden mußte, glaube ich. Ich fing wieder an, als Kinderpflegerin zu arbeiten, ich stürzte mich in die Arbeit. Als der Krieg in Europa zu Ende war, übernahm ich sofort die Leitung dieses griechischen Waisenheims — ein Posten, wo der Arbeitstag vierundzwanzig Stunden hat. Das war genau das, was ich brauchte, bis an den Rand meiner Kräfte zu arbeiten. Mark, ich — ich habe hundert Briefe an dich angefangen. Aber irgendwie hatte ich zu große Angst vor diesem Augenblick. Und jetzt bin ich froh, bin froh, daß ich es hinter mir habe.«

  »Ich bin froh, daß ich dich gefunden habe«, sagte Mark.

  Sie wandte sich nach ihm um und sah ihn an. »Das also war die Geschichte von Kitty Fremont ...« Mark nahm sie bei der Hand, und sie gingen den Deich entlang zurück zum Kai. Vom Dom-Hotel klang Musik herüber.

  IV.

  Brigadier Bruce Sutherland, Kommandeur von Zypern, saß an einem großen Schreibtisch in seinem auf der Hippocrates-Straße gelegenen Haus in Famagusta, einige vierzig Meilen von Kyrenia entfernt. Von kleinen, verräterischen Anzeichen abgesehen — ein leichter Ansatz von Leibesfülle in der Taillengegend und einige weiße Haare an den Schläfen, glaubte man ihm seine fünfundfünfzig Jahre nicht. Dagegen verriet die stocksteife Haltung eindeutig den Militär. Es klopfte, und sein Adjutant, Major Fred Caldwell, kam herein.

  »'n Abend, Caldwell. Schon zurück von Kyrenia? Nehmen Sie Platz.« Sutherland schob die Akten beiseite, reckte sich und legte seine Brille auf den Schreibtisch. Er wählte von dem Pfeifenständer eine Pfeife und stopfte sie. Caldwell nahm dankend eine Zigarre, und die beiden Männer begannen, sich in dicke Wolken zu hüllen. Der Brigadier drückte auf die Klingel, und der griechische Boy erschien in der Tür.

  »Zwei Gin und Soda, bitte.«

  Sutherland stand auf und kam nach vorn. Er trug eine dunkelrote Samtjacke, Er ließ sich in einem Ledersessel nieder, der vor dem wandhohen Bücherregal stand. »Haben Sie Mark Parker angetroffen?«

  »Jawohl, Sir.«

  »Und was ist Ihr Eindruck?«

  Caldwell zuckte die Schultern. »Dem äußeren Anschein nach ist ihm natürlich nicht das geringste vorzuwerfen. Er will weiter nach Palästina und ist hierhergekommen, um diese amerikanische Kinderpflegerin Katherine Fremont zu besuchen.«

  »Fremont? O ja, diese reizende Frau, die wir beim Gouverneur kennenlernten.«

  »Ich sage ja, Sir — es sieht alles ganz harmlos aus. Trotzdem, Parker ist nun mal Reporter, und ich muß immer noch an den Ärger denken, den wir durch ihn in Holland hatten.«

  »Aber, aber«, sagte Sutherland. »Wir alle haben im Krieg Fehler gemacht. Er hat uns nur zufällig bei einem Fehler erwischt, den wir gemacht haben. Glücklicherweise haben wir den Krieg gewonnen, und ich glaube nicht, daß es zehn Leute gibt, die sich noch an die Geschichte von damals erinnern.«

  Die Getränke kamen. »Auf Ihr Wohl.«

  Sutherland setzte das Glas ab und strich sich seinen weißen Seehundsschnurrbart. Doch Fred Caldwell gab sich noch nicht zufrieden.

  »Sir«, begann er erneut, »falls Parker nun neugierig wird und anfängt, sich hier genauer umzusehen — meinen Sie nicht, es wäre besser, ihn durch ein paar Leute von der CID beschatten zu lassen?« »Hören Sie, mein Lieber, lassen Sie den Mann in Frieden. Man braucht einem Pressemann nur ,Nein' zu sagen, und man hat mit ziemlicher Sicherheit in ein Wespennest gestochen. Berichte über Flüchtlinge sind heutzutage nicht mehr gefragt, und ich glaube nicht, daß er sich für die Flüchtlingslager hier interessieren wird. Dennoch wollen wir nicht riskieren, seine Neugier zu wecken, indem wir ihm irgend etwas verbieten. Wenn Sie mich fragen — ich glaube, es war falsch, daß Sie ihn heute aufgesucht haben.«

  »Aber ich bitte Sie, Brigadier — nach dieser unangenehmen Sache da in Holland —...«

  »Holen Sie den Schachtisch, Freddy!« In der Art, wie Sutherland ,Freddy' sagte, lag etwas endgültig Abschließendes. Caldwell brummte in sich hinein, während sie die Figuren aufstellten. Sie begannen zu spielen, doch Sutherland konnte deutlich sehen, daß sein Adjutant nicht bei der Sache war. Er legte die Pfeife aus der Hand und lehnte sich zurück.

  »Caldwell, ich habe Ihnen zu erklären versucht, daß wir hier keine Konzentrationslager unterhalten. Die Flüchtlinge in den Lagern bei Caraolos werden nur so lange auf Zypern zurückgehalten, bis sich diese Querschädel in Whitehall darüber klargeworden sind, was sie in der Frage des Palästina-Mandats machen wollen.«

  »Aber diese Juden sind so schwer zu bändigen«, sagte Caldwell mit gerunzelter Stirn. »Ich wäre wirklich für ein bißchen Disziplin im guten alten Stil.«

  »Nein, Freddy, nicht in diesem Falle. Diese Leute sind keine Verbrecher, und sie haben die Sympathie der ganzen Welt auf ihrer Seite. Es ist Ihre und meine Aufgabe, dafür zu sorgen, daß es keine Unruhen gibt, keine Ausbrüche und überhaupt nichts, was man als Propaganda gegen uns verwenden könnte. Verstehen Sie?«

  Es war Caldwell nicht klar. Er war im Gegenteil durchaus der Meinung, daß der Brigadier mit den Flüchtlingen wesentlich schärfer verfahren sollte. Aber bei einem Streit mit einem General kann niemand gewinnen, wenn er nicht zufällig ein noch höheres Tier ist. Die ganze Sache war außerdem so verwickelt — und Caldwell begnügte sich, einen Bauern vorzurücken.

  »Sie sind am Zug, Sir«, sagte er.

  Caldwell hob den Blick vom Schachbrett und sah zu Sutherland hinüber. Der Brigadier schien in Gedanken versunken zu sein und die Anwesenheit von Caldwell völlig vergessen zu haben. Das geschah in letzter Zeit immer häufiger.

  »Sie sind am Zug, Sir«, wiederholte Caldwell.

  Sutherlands Gesicht sah bekümmert aus. Armer Kerl, dachte Caldwell. Der Brigadier war fast seit dreißig Jahren mit Neddy Sutherland verheiratet gewesen, und plötzlich hatte sie ihn verlassen und war mit einem Mann, der zehn Jahre jünger war als sie, nach Paris durchgebrannt. Es war ein Skandal, der in Armee-Kreisen monatelang die Gem
üter erschüttert hatte, und Sutherland schien noch immer schwer daran zu tragen. Es war ein schrecklicher Schlag für den Brigadier, der immer ein so korrekter Mann gewesen war. Sutherlands blasses Gesicht war voller Falten, und auf seiner Nase erschienen kleine rote Äderchen. In diesem Augenblick sah er wirklich aus wie fünfundfünfzig, wenn nicht noch älter.

  Doch Bruce Sutherland dachte nicht an Neddy, wie Caldwell annahm. Seine Gedanken waren bei den Flüchtlingslagern von Caraolos.

  »Sie sind am Zug, Sir.«

  »Also will ich deine Feinde verderben, Israel —.«, murmelte Sutherland.

  »Was haben Sie eben gesagt, Sir?«

  V.

  Mark führte Kitty zurück an den Tisch, beide waren außer Atem. »Weißt du, wann ich das letztemal Samba getanzt habe?« sagte sie. »Für ein so altes Mädchen, wie du es bist, machst du deine Sache gar nicht schlecht.«

  Mark sah sich im Räume um. An allen Tischen saßen englische Offiziere, in der Khaki-Uniform der Army und den weißen Jacken der Navy, und unterhielten sich mit unverkennbar englischem Akzent. Mark liebte Lokale dieser Art. Der Kellner brachte frische Getränke, und sie stießen miteinander an.

  »Auf dein Wohl, Kitty, wo immer du dich befinden magst«, sagte Mark. »Ja, Gnädigste, was ist eigentlich Ihr nächstes Reiseziel?« Kitty zog die Schultern hoch. »Ach, ich weiß nicht recht, Mark. Meine Arbeit in Saloniki ist zu Ende, und ich fange an, unruhig zu werden. Ich habe ein Dutzend Angebote, bei der UNO zu arbeiten, in allen Teilen Europas.«

  »Ja, es war ein prächtiger Krieg«, sagte Mark. »Überall massenhaft Waisenkinder.«

  »Nein, im Ernst«, sagte Kitty, »erst gestern bekam ich ein wirklich gutes Angebot, hier in Zypern zu arbeiten.«

  »In Zypern?«

  »Da in der Gegend von Famagusta sind irgendwelche Flüchtlingslager. Eine Amerikanerin hat sich an mich gewandt. Die Lager sind anscheinend überfüllt, und an der Straße nach Larnaca werden neue Lager eingerichtet. Ich sollte dort die Leitung übernehmen.«

  Mark zog die Stirn in Falten.

  »Das ist einer der Gründe, weshalb ich dich nicht auf dem Flugplatz abholen konnte. Ich war heute in Famagusta, um mit dieser Amerikanerin zu reden.«

  »Und was hast du ihr gesagt?«

  »Ich habe nein gesagt. Es sind Juden. Ich glaube zwar, daß jüdische Kinder kaum anders sind als irgendwelche anderen, aber ich möchte doch lieber nichts mit ihnen zu tun haben. Bei diesen Lagern scheint eine ganze Menge Politik mit im Spiele zu sein, und sie unterstehen nicht der Aufsicht der UNO.«

  Mark schwieg nachdenklich. Kitty blinzelte ihn verschmitzt an und wedelte mit dem Zeigefinger vor seiner Nase hin und her. »Mach nicht so ein ernstes Gesicht. Willst du wissen, was der andere Grund war, weshalb ich dich nicht abholen konnte?«

  »Du tust, als ob du einen kleinen Schwips hättest.«

  »Ich glaube, so allmählich kriege ich auch einen. Also hören Sie, Mr. Parker: ich war in Famagusta, um meinen Freund ans Schiff zu bringen. Du kennst mich ja — der eine Mann reist ab, der nächste kommt an.«

  »Solange du sie nicht durcheinanderbringst! Und was war das für ein Knabe, mit dem du hier nach Zypern gefahren bist?«

  »Möchtest du wohl gerne wissen, wie?«

  »Mhm.«

  »Colonel Howard Hillings, von der britischen Armee.«

  »Irgendwas gewesen zwischen euch beiden?«

  »Halt den Mund! Er war so korrekt, daß es geradezu widerlich war.«

  »Und woher kennst du ihn?«

  »Er war Chef der britischen Militärmission in Saloniki. Als ich die Leitung des Heims übernahm, fehlte es uns an allem — Betten, Medikamenten, Verpflegung, Decken — einfach alles. Kurz und gut, ich wandte mich an ihn. Er hat einen gewaltigen Papierkrieg für mich geführt, und wir wurden gute Freunde für immer und ewig. Er ist wirklich ein guter Kerl.«

  »Erzähl weiter. Die Sache fängt an, außerordentlich interessant und spannend zu werden.«

  »Vor ein paar Wochen erfuhr er, daß er nach Palästina versetzt würde und vorher in Urlaub gehen sollte, und da bat er mich, seinen Urlaub hier mit ihm zu verbringen. Weißt du, ich steckte so in der Arbeit drin, daß mir völlig entgangen war, seit achtzehn Monaten nicht einen einzigen freien Tag gehabt zu haben. Na, kurz und gut, sein Urlaub wurde abgeblasen, und heute mußte er sich in Famagusta melden, um dort das Schiff nach Palästina zu besteigen.« »Irgendwelche Zukunftspläne als Mrs. Hillings?«

  Kitty schüttelte den Kopf. »Ich mag ihn sehr. Er hat extra die weite Reise mit mir nach Zypern gemacht, nur um die richtige Umgebung für die Frage zu finden, ob ich ihn heiraten wollte —.«

  »Na und?«

  »Ich habe Tom geliebt. Ich werde nie wieder etwas Ähnliches für einen Mann empfinden.«

  »Du bist inzwischen achtundzwanzig, Kitty. Das ist ein gutes Alter, sich zur Ruhe zu setzen.«

  »Ich beklage mich ja gar nicht. Ich habe etwas gefunden, was mir Befriedigung gewährt. — Mark, du gehst auch nach Palästina. So viele von den Offizieren hier werden jetzt nach Palästina versetzt.« »Es gibt Krieg, Kitty.«

  »Krieg? Aber warum denn? Das verstehe ich nicht.«

  »Oh, aus allen möglichen Gründen. Es gibt überall auf der Welt eine Menge Leute, die entschlossen sind, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Kolonien kommen in unserer Zeit aus der Mode. Die Engländer reiten einen toten Gaul. Das da, das ist der Soldat des neuen Weltreichs«, sagte Mark und zog eine Dollarnote aus der Tasche. »Wir haben Millionen dieser grünen Soldaten in Marsch gesetzt, überallhin, in jeden Winkel der Welt. Es ist die größte Armee, die es je gegeben hat, und sie erobert die Welt ohne Blutvergießen. Aber Palästina — da liegen die Dinge wieder anders. Das ist eine Sache, Kitty, die fast etwas Erschreckendes hat. Da gibt es Leute, die ernstlich entschlossen sind, eine Nation wiedererstehen zu lassen, die seit zweitausend Jahren tot ist. So etwas hat es noch nie gegeben. Und das Tollste ist — ich glaube, sie werden es schaffen. Die Leute, von denen ich spreche, sind die Juden, die du nicht leiden kannst.«

  »Das habe ich nicht gesagt«., widersprach Kitty, »daß ich die Juden nicht leiden könnte.«

  »Ich möchte jetzt nicht mit dir streiten. Aber denk doch mal scharf nach, Liebling — hast du in der Zeit, seit du hier in Zypern bist, irgend etwas gehört oder gesehen, das vielleicht, sagen wir mal, auffällig oder ungewöhnlich zu nennen wäre?«

  Kitty biß sich nachdenklich auf die Unterlippe und holte tief Luft. »Nein«, sagte sie dann, »nur die Flüchtlingslager. Wie ich höre, sind sie überfüllt und in jämmerlichem Zustand. Warum fragst du?«

  »Ich weiß nicht. Ich hab' halt nur so eine Ahnung, daß hier auf Zypern irgendwas los ist, irgendeine ganz dicke Sache.«

  »Warum sagst du nicht lieber, daß du einfach von Beruf neugierig bist?«

  »Nein, das allein ist es nicht. Kennst du einen Major Caldwell? Er ist der Adjutant von Brigadier Sutherland.«

  »Ja, ein schrecklich langweiliger Kerl. Ich habe ihn beim Gouverneur kennengelernt.«

  »Er suchte mich im Hotel in meinem Zimmer auf, kurz bevor du kamst. Warum sollte mir der Adjutant eines Generals zehn Minuten nach meiner Ankunft auf die Bude rücken wegen einer Sache, die anscheinend ganz belanglos ist? Nein, Kitty, glaube mir, die Engländer sind wegen irgendeiner Sache hier nervös. Ich kann es nicht beweisen, aber ich gehe jede Wette ein, daß es mit diesen Flüchtlingslagern zusammenhängt. Sag mal — könntest du nicht ein paar Wochen in diesen Lagern arbeiten, mir zuliebe?«

  »Natürlich, Mark, wenn du das möchtest.«

  »Ach, hol's der Teufel!« sagte Mark und stellte das Glas aus der Hand. »Wir sind im Urlaub. Du hast ganz recht, ich bin neugierig und mißtrauisch von Beruf. Denk nicht mehr dran, tanzen wir lieber.«

  VI.

  An der Arsinos-Straße in Famagusta, gegenüber der alten Stadtmauer, lag das große und prächtige Haus eines griechischen Zyprers namens Mandria, dem die Zyprisch-Mittelmeerische Schiffahrtsgesellschaft gehörte und außerdem die meisten Taxen der Insel. In einem Raum dieses Hauses warteten Mandria und David ben Ami voll ungeduldiger Spannung auf Ari ben Kanaan,
der seine nassen Kleider wechselte.

  Beiden war klar, daß das Auftauchen Ari ben Kanaans in Zypern auf einen besonders wichtigen Auftrag der illegalen Organisation Mossad Aliyah Bet hinwies. Seit vielen Jahren ging die Politik der Engländer dahin, die jüdische Einwanderung nach Palästina zu verhindern oder auf ein Mindestmaß zu beschränken. Zum Vollzug dieser Politik hatte man die Royal Navy eingesetzt. Mossad Aliyah Bet war eine Organisation der in Palästina ansässigen Juden, deren Aufgabe es war, andere Juden heimlich nach Palästina zu schmuggeln. Jedesmal aber, wenn die englische Flotte eines der Mossad-Schiffe aufbrachte, das die Blockade zu durchbrechen versuchte, wurden die illegalen Einwanderer in die Internierungslager auf Zypern überführt.

  Ari ben Kanaan, der sich inzwischen umgezogen hatte, betrat den Raum und nickte Mandria und David ben Ami zu. Ben Kanaan war ein stattlicher, kräftig gebauter Mann von gut über ein Meter achtzig. Er und Ben Ami waren seit langem gute Freunde; doch im Beisein von Mandria, dem Zyprer, der kein Mitglied ihrer Organisation war, sondern mit ihr nur sympathisierte, gaben sie das nicht zu erkennen. Ari steckte sich eine Zigarette an und kam ohne Umschweife zur Sache. »Die Zentrale hat mich hierhergeschickt mit dem Auftrag, eine Massenflucht aus den Lagern zu organisieren. Die Gründe dafür sind uns wohl allen klar. Was ist deine Meinung dazu, David?«

  Der junge Mann mit dem schmalen Gesicht ging nachdenklich hin und her. Er war schon vor Monaten nach Zypern gekommen, im Auftrag der geheimen Armee der Juden in Palästina, Palmach genannt. Er und Dutzende weiterer Palmach-Angehöriger hatten sich ohne Wissen der Engländer in die Flüchtlingslager eingeschlichen und dort Schulen eingerichtet, Lazarette und Synagogen, hatten sanitäre Anlagen gebaut und eine Kleinindustrie organisiert. Die illegalen Einwanderer, die man von Palästina nach Zypern gebracht hatte, waren Menschen ohne Hoffnung. Das Auftauchen junger Männer, die der jüdischen Armee in Palästina angehörten, gab ihnen neue Hoffnung und stärkte die Moral des Lagers. David ben Ami und die anderen Palmach-Mitglieder gaben Tausenden von Männern und Frauen in den Lagern eine militärische Ausbildung, wobei sie an Stelle von Gewehren Stöcke und als Ersatz für Handgranaten Steine verwendeten. David ben Ami war, obwohl nicht älter als zweiundzwanzig, der Palmach-Kommandeur auf Zypern. Falls die Engländer Wind davon bekommen hatten, daß sich Leute aus Palästina in die Lager eingeschlichen hatten, ließen sie sich jedenfalls nichts davon anmerken. Denn sie hatten kein Verlangen danach, sich in das Innere der von Haß erfüllten Lager zu begeben, und beschränkten sich darauf, sie von außen zu bewachen.