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Exodus Page 27

»Sehen Sie denn nicht ein, daß wir den Juden die Trümpfe zuspielen?«

  »Solange ich hier in diesem Amt sitze, wird die Exodus nicht auslaufen!«

  XXXI.

  MARK PARKER DOM-HOTEL KYRENIA, ZYPERN

  STORY MACHT WIND STOP SCHICKEN SIE FORTSETZUNGEN KEN BRADBURY, ANS LONDON

  ANS-BERICHT AUS KYRENIA, ZYPERN VON MARK PARKER

  Es ist ein grotesker Anblick: eintausend schwerbewaffnete Soldaten, Tanks, Artillerie und Einheiten der Flotte stehen hilflos einem unbewaffneten Bergungsschiff gegenüber.

  In dem Kampf um die Exodus steht es am Ende der ersten Woche unentschieden. Weder die Engländer noch die Flüchtlinge sind bereit, nachzugeben. Bisher hat noch niemand versucht, an Bord des Blockadebrechers zu gehen, der damit gedroht hat, sich in die Luft zu sprengen. Das Schiff liegt nur ein paar hundert Meter vom Kai entfernt, und mit dem Fernglas kann man es auf Armeslänge heranholen.

  Die Stimmung der dreihundert Kinder an Bord der Exodus ist allem Anschein nach äußerst gut.

  Tag für Tag gingen Marks Berichte hinaus, und jeder neue Bericht enthielt neue und interessante Einzelheiten.

  Als Cecil Bradshaw beschloß, aus der Exodus einen Präzedenzfall zu machen, war er sich darüber klar, daß es Ablehnung und Kritik hageln würde. Die französische Presse reagierte mit der üblichen Aufregung, wobei sie sich eines so heftigen Tons bediente, wie er in der Geschichte der englisch-französischen Freundschaft noch nie angeschlagen worden war. Die gesamte europäische Presse befaßte sich mit dem Fall; sogar in England waren die Meinungen geteilt, und einige Zeitungen warfen die Frage auf, ob Whitehall weise daran getan habe, der Exodus zu verbieten, nach Palästina auszulaufen. Bradshaw war ein erfahrener Politiker, der schon manchen Sturm durchgemacht hatte. Dies hier war ein Sturm im Wasserglas, und Bradshaw war überzeugt, daß er abflauen würde. Er schickte drei freundlich gesinnte Journalisten nach Kyrenia, um Parkers Berichten entgegentreten zu können, und ein halbes Dutzend Fachleute waren fieberhaft damit beschäftigt, die englische Haltung zu erklären und zu untermauern.

  Die Engländer hatten durchaus gute Gründe und sie argumentierten sehr geschickt, doch es war nicht leicht, über das natürliche Mitleid, das selbstverständlich jedermann für ein Häufchen von Flüchtlingskindern hatte, hinwegzukommen.

  »Wenn die Absichten der Zionisten wirklich so lauter sind, weshalb gefährden sie dann das Leben von dreihundert unschuldigen Kindern? Das Ganze ist ein bösartiges und kaltblütig inszeniertes Komplott, um Sympathie in der Öffentlichkeit zu gewinnen und das wirkliche Problem des Palästina-Mandats zu vernebeln. Wir haben es hier ganz offensichtlich mit Fanatikern zu tun. Ari ben Kanaan ist ein professioneller zionistischer Agitator, der schon jahrelang in der illegalen Arbeit tätig ist.«

  Reporter aus einem halben Dutzend Länder landeten auf dem Flugplatz von Nikosia und baten um die Erlaubnis, das Gebiet von Kyrenia zu betreten. Auch mehrere große Zeitschriften entsandten Wort- und Bildberichter. Das Dom-Hotel begann allmählich dem Tagungsbüro eines politischen Kongresses zu gleichen.

  In Pariser Cafés wurden die Engländer beschimpft.

  In Lokalen in London wurden die Engländer verteidigt.

  In Stockholm wurde gebetet.

  In Rom wurde debattiert.

  Bei den Buchmachern in New York wurden Wetten abgeschlossen, vier zu eins, daß die Exodus nicht auslaufen würde.

  Gegen Ende der zweiten Woche bekam Mark von Ari die Erlaubnis, an Bord zu kommen. Da er der erste war, der Zugang zur Exodus erhielt, erschienen seine folgenden drei Berichte in allen Zeitungen auf der ersten Seite.

  ANS-SONDERBERICHT

  ERSTES INTERVIEW MIT ARI BEN KANAAN, DEM SPRECHER DER EXODUS, KYRENIA, ZYPERN Heute hatte ich als erster Korrespondent Gelegenheit, Ari ben Kanaan, den Sprecher der Kinder an Bord der Exodus, zu interviewen. Ich unterrichtete Ben Kanaan über die Kritik der englischen Presse, die behauptet, er sei ein professioneller zionistischer Quertreiber, und über die anderen Vorwürfe, die von Whitehall gegen ihn erhoben wurden. Unsere Unterredung fand in dem Ruderhaus der Exodus statt, der einzigen Stelle an Bord des Schiffes, wo nicht qualvolle Enge herrscht. Auch heute noch schienen die Kinder entschlossen und begeistert zu sein, doch machen sich bei ihnen die physischen Auswirkungen der vierzehntägigen Belagerung allmählich bemerkbar.

  Ben Kanaan, dreißig, ein stämmiger Bursche von über einsachtzig, mit schwarzen Haaren und hellblauen Augen, den man für einen erfolgreichen Filmproduzenten halten könnte, bat mich, den Menschen in aller Welt, die mit guten Wünschen an die Exodus dächten, seinen Dank zu übermitteln. Er versicherte mir, daß sich die Kinder großartig hielten.

  Auf meine Fragen antwortete er mir: »Die persönlichen Angriffe gegen mich lassen mich kalt. Es interessiert mich übrigens, ob die Engländer auch erwähnt haben, daß ich im zweiten Weltkrieg als Hauptmann in der englischen Armee gedient habe. Ich gebe zu, daß ich ein zionistischer Querulant bin, und ich werde so lange einer bleiben, bis die Engländer ihre Versprechungen in Bezug auf Palästina einlösen. Ob meine Arbeit legal oder illegal ist, das ist Ansichtssache.«

  Auf meine weiteren Fragen hinsichtlich der englischen Argumentation und der Bedeutung der Exodus sagte er: »Man wirft uns Juden alles mögliche vor, und wir sind daran gewöhnt. Bei jedem Problem, das mit dem Palästina-Mandat zusammenhängt und das mit logischen Erklärungen und vernünftigen Begründungen nicht aus der Welt zu schaffen ist, kommen die Engländer mit der alten Ausrede, es handle sich um irgendein finsteres Komplott des Zionismus. Ich bin wirklich erstaunt, daß sie den Zionisten noch nicht vorgeworfen haben, sie seien schuld an den Schwierigkeiten, die sie in Indien haben. Zum Glück für uns ist Ghandi kein Jude.« »Whitehall bedient sich der geheimnisvollen Zionisten, dieser strapazierten Prügelknaben, um drei Jahrzehnte übler Machenschaften im Mandatsgebiet zu vertuschen, drei Jahrzehnte, in denen man sowohl die Juden als auch die Araber belogen, betrogen und verkauft hat. Das erste Versprechen, das die Engländer nicht eingehalten haben, war die Balfour-Deklaration von 1917, worin den Juden eine Heimat versprochen wurde, und seither haben sie ihr Wort immer wieder gebrochen. Den letzten Verrat hat die Labour-Partei begangen, die vor den Wahlen versprach, die Grenzen von Palästina für die Überlebenden des Hitler-Regimes zu öffnen.«

  »Ich nehme mit Staunen zur Kenntnis, daß Whitehall Krokodilstränen darüber vergießt, daß wir das Leben von Kindern aufs Spiel setzen. Jedes der dreihundert Kinder ist freiwillig an Bord der Exodus. Jedes dieser Kinder ist durch das Hitler-Regime Waise geworden. Jedes dieser Kinder hat fast sechs Jahre in deutschen und britischen Konzentrationslagern verbracht.«

  »Wenn Whitehall wirklich so besorgt um das Wohl dieser Kinder ist, dann fordere ich die Engländer auf, den Pressevertretern die Erlaubnis zu geben, das Lager bei Caraolos in Augenschein zu nehmen. Es ist nicht mehr und nicht weniger als ein Konzentrationslager: Stacheldraht, Wachttürme mit Maschinengewehren, unzureichende Ernährung, zu wenig Wasser, ungenügende sanitäre Einrichtungen. Gegen die Menschen, die dort hinter Stacheldraht sitzen, liegt nichts vor; man hat keinerlei Anklage gegen sie erhoben, dennoch aber werden sie zwangsweise in Caraolos festgehalten.«

  »Whitehall redet davon, daß wir versuchten, die Engländer in der Frage des Palästina-Mandats zu einer ungerechten Lösung zu zwingen. In Europa sitzt eine Viertelmillion Juden, die überlebenden von sechs Millionen. Die englische Quote für Palästina gestattet monatlich siebenhundert Juden, dort legal einzuwandern. Ist das die ,gerechte' Lösung der Engländer?«

  »Zum Schluß: ich bestreite das Recht der Engländer, in Palästina zu sein. Haben sie etwa mehr Recht, dort zu sein als die Überlebenden des Hitler-Regimes? Die Herren von Whitehall täten gut daran, ihre Erklärungen gründlicher zu überdenken. Ich richte an den Außenminister die gleiche Aufforderung, die ein großer Mann vor dreitausend Jahren an einen anderen Unterdrücker gerichtet hat: LASS MEIN VOLK HEIMKEHREN.

  Auf den Rat von Mark gestattete Ari auch anderen Reportern, an Bord der Exodus zu kommen und die Presseleute lagen den Engländern in den Ohren, daß sie das Lager in Caraolos sehen wollten. Cecil
Bradshaw hatte Kritik in der Öffentlichkeit erwartet, aber er hatte nicht damit gerechnet, daß die Entrüstung ein solches Ausmaß erreichen würde. Eine Besprechung löste die andere ab. Denn im Augenblick war die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf den Hafen von Kyrenia gerichtet. Jetzt der Exodus die Erlaubnis zum Auslaufen zu erteilen, wäre geradezu verheerend gewesen.

  General Sir Clarence Tevor-Browne begab sich per Flugzeug und in aller Stille nach Zypern, um das Kommando zu übernehmen und zu sehen, ob noch irgend etwas zu retten war.

  Das Flugzeug, mit dem er kam, landete kurz nach Mitternacht auf dem abgesperrten Flugplatz von Nikosia. Major Alistair nahm ihn in Empfang, beide stiegen rasch in einen Wagen und fuhren zur Kommandantur in Famagusta.

  »Ich wollte gern mit Ihnen sprechen, Alistair, ehe ich die Geschäfte von Sutherland übernehme. Ich habe Ihren Brief bekommen, Sie können also ganz offen reden.«

  »Ja, Sir«, sagte Alistair, »ich würde sagen, daß Sutherland den Anforderungen einfach nicht gewachsen war. Mit dem Mann ist irgend etwas vorgegangen. Caldwell erzählt mir, daß er dauernd Angstträume hat. Er geht die ganze Nacht herum, bis gegen Morgen, und er verbringt seine Zeit damit, in der Bibel zu lesen.«

  »Wirklich ein Jammer«, sagte Tevor-Browne. »Und dabei war Bruce Sutherland ein so hervorragender Soldat. Ich verlasse mich darauf, daß das Gesagte unter uns bleibt. Wir müssen den Mann decken.«

  »Selbstverständlich, Sir«, sagte Alistair.

  Mark ging an Bord der Exodus und ließ Kanaan bitten, in das Ruderhaus zu kommen. Er war unruhig, als er sich mühsam einen Weg über das überfüllte Deck bahnte. Die Kinder sahen blaß und eingefallen aus, und sie rochen schlecht, weil Waschwasser knapp war.

  Ari, den er im Ruderhaus traf, war so ruhig und gelassen wie immer. Mark gab ihm Zigaretten und ein paar Flaschen Brandy.

  »Wie steht's denn da draußen?« fragte Ari.

  »Sieht nicht nach irgendeinem Kurswechsel aus, nachdem Tevor-Browne jetzt hergekommen ist. Die Story der Exodus beherrscht noch immer überall die erste Seite. Macht mehr Aufsehen, als ich erwartet hatte. Hören Sie, Ari, die Sache hat für uns beide, für Sie und für mich, genau den Erfolg gehabt, der beabsichtigt war. Sie haben erreicht, was Sie wollten, es ist den Engländern genau ins Auge gegangen. Doch ich habe zuverlässige Information, daß die Engländer entschlossen sind, nicht nachzugeben.«

  »Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?«

  »Ich bin der Meinung, daß Sie dieser ganzen Sache eine letzte Steigerung geben können, indem Sie eine humane Geste machen und mit dem Schiff an den Kai zurückgehen. Wir bringen einen ganz großen Bericht darüber, wie die Engländer die Kinder nach Caraolos zurückbringen — einen Bericht, der den Leuten das Herz brechen wird.«

  »Hat Kitty Sie mit diesem Vorschlag zu mir geschickt?«

  »Ach, lassen Sie das doch, bitte. Sehen Sie sich nur mal die Kinder da unten an Deck an. Die stehen das nicht mehr lange durch.«

  »Sie wissen, um was es geht.«

  »Die Sache hat auch noch eine andere Seite, Ari. Ich fürchte, wir haben den Rahm abgeschöpft. Sicher, jetzt sind wir mit unserer Geschichte noch auf der Titelseite, aber Frank Sinatra braucht nur morgen in einem Nachtlokal irgendeinem Pressemann einen Linkshaken zu verpassen, und dann gehören wir zu ,Ferner liefen'.« Karen kam in das Ruderhaus. »Guten Tag, Mr. Parker«, sagte sie mit leiser Stimme.

  »Tag, Kleine. Hier ist ein Brief und ein Päckchen von Kitty.«

  Sie nahm den Brief und gab Mark einen für Kitty. Das Päckchen lehnte sie genauso ab wie alle anderen vorher.

  Als sie gegangen war, sagte Mark: »Ich bringe es einfach nicht übers Herz, Kitty zu sagen, daß sie das Päckchen nicht für sich persönlich annehmen will. Das Mädchen ist krank. Haben Sie die Ringe unter ihren Augen gesehen? In ein paar Tagen werden Sie hier auf diesem Schiff ernstliche Schwierigkeiten haben.«

  »Wir sprachen davon, wie man das Interesse in der Öffentlichkeit aufrechterhalten könnte. Ich möchte zunächst einmal das eine klarstellen, Parker: wir gehen nicht zurück nach Caraolos. In Europa sitzt eine Viertelmillion Juden, die auf eine Antwort warten, und wir sind die einzigen, die ihnen diese Antwort geben können. Von morgen an treten wir in den Hungerstreik. Jeden, der ohnmächtig wird, werden wir oben an Deck hinlegen, damit ihn die Engländer sich ansehen können.«

  »Sie Satan«, fauchte Mark, »Sie stinkendes Untier!«

  »Nennen Sie mich, wie Sie wollen, Parker. Meinen Sie, es macht mir Spaß, eine Horde von Waisenkindern verhungern zu lassen? Geben Sie mir irgendeine andere Waffe! Geben Sie mir etwas, womit ich auf diese Tanks und die Zerstörer schießen kann! Wir haben nichts als unseren Mut und unseren Glauben. Zweitausend Jahre lang hat man uns geschlagen und erniedrigt. Damit ist es Schluß! Diesmal gewinnen wir.«

  XXXII.

  HUNGERSTREIK AUF DER EXODUS!

  DIE KINDER WOLLEN LIEBER VERHUNGERN, ALS NACH CARAOLOS ZURÜCKGEHEN!

  Nachdem der Kampf der Exodus zwei Wochen lang von Tag zu Tag in der Öffentlichkeit ständig wachsendes Aufsehen erregt hatte, verblüffte und überrumpelte Ari ben Kanaan jetzt alle Welt, indem er zum Angriff überging. Nun war es nicht mehr möglich, abzuwarten; die Kinder erzwangen eine Entscheidung.

  An der Bordwand der Exodus wurde eine große Tafel befestigt, auf der in englischer, französischer und hebräischer Sprache zu lesen war:

  HUNGERSTREIK: l STUNDE HUNGERSTREIK: 15 STUNDEN

  Zwei Jungen und ein Mädchen, im Alter von zehn, zwölf und fünfzehn Jahren, wurden zum Vorderdeck der Exodus gebracht und dort hingelegt. Sie waren bewußtlos.

  HUNGERSTREIK: 20 STUNDEN

  Zehn Kinder lagen nebeneinander auf dem Vorderdeck.

  »Ich bitte dich, Kitty, lauf nicht dauernd hin und her! Setz dich endlich hin!«

  »Es ist jetzt schon über zwanzig Stunden. Wie lange will er damit noch weitermachen? Ich habe einfach nicht den Mut gehabt, zum Hafen zu gehen und nachzusehen. Gehört Karen zu den Kindern, die bewußtlos an Deck liegen?«

  »Ich habe dir schon zehnmal gesagt, daß sie nicht dabei ist.«

  »Die Kinder sind ohnehin nicht besonders kräftig, und sie sind jetzt zwei Wochen lang auf diesem Schiff eingesperrt gewesen. Sie haben keine Widerstandskraft mehr.«

  Kitty zog nervös an ihrer Zigarette und fuhr sich durch die Haare. »Dieser Ari ben Kanaan ist kein Mensch — er ist ein Unmensch, eine Bestie.«

  »Ich habe auch darüber nachgedacht«, sagte Mark. »Ich habe sogar ziemlich viel darüber nachgedacht. Ich weiß nicht, ob wir wirklich begreifen, was es ist, was diese Menschen so fanatisch macht. Bist du einmal in Palästina gewesen? Im Süden eine Wüste, in der Mitte verwittert, und im Norden ein Sumpf. Ausgedörrt von der Sonne und rings umgeben von einem Heer von Feinden, von fünfzig Millionen erbitterter Gegner. Und trotzdem brechen sich diese Leute den Hals, um hinzukommen. Sie nennen es das Land, in dem Milch und Honig fließt, und sie singen Lieder, in denen von Wassergräben und Berieselungsanlagen die Rede ist. Vor zwei Wochen habe ich Ari ben Kanaan erklärt, das Leiden sei keine Sache, worauf die Juden ein Monopol besäßen; doch allmählich beginne ich zu zweifeln. Im Ernst, ich bin mir wirklich nicht sicher. Ich frage mich, was einem Menschen so zusetzen kann, das ihn so fanatisch werden läßt.« »Versuche nicht, ihn zu verteidigen, Mark, und versuche auch nicht, diese Menschen zu verteidigen.«

  »Vergiß bitte das eine nicht: Ben Kanaan könnte nicht tun, was er tut, wenn er die Kinder nicht hinter sich hätte. Und die Kinder stehen hundertprozentig hinter ihm.«

  »Das ist es ja gerade«, sagte Kitty, »diese Loyalität. Dieses phantastische Zusammengehörigkeitsgefühl, das sie verbindet.«

  Das Telefon läutete. Mark meldete sich, sagte »Danke« und legte wieder auf.

  »Was war denn?« fragte Kitty. »Mark, ich habe dich gefragt, was war!«

  »Sie haben weitere Kinder nach oben an Deck gebracht — ein halbes Dutzend.«

  »Ist — ist Karen dabei?«

  »Ich weiß es nicht. Ich werde hingehen und es feststellen.«

  »Mark .. .«

  »Ja?«

  »Ich möc
hte auf die Exodus.«

  »Das ist unmöglich.«

  »Ich halte es einfach nicht mehr aus.«

  »Wenn du das machst, bist du erledigt.«

  »Nein, Mark — es ist anders. Wenn ich wüßte, sie ist am Leben, ist nicht ernstlich krank, dann könnte ich es ertragen. Das schwöre ich dir. Ich weiß es genau. Aber ich kann nicht untätig dasitzen und mir vorstellen, daß sie vielleicht stirbt. Das kann ich einfach nicht.« »Selbst wenn ich Ben Kanaan dazu bringen könnte, daß er dich auf die Exodus läßt, werden es dir die Engländer nicht erlauben.«

  »Du mußt es für mich durchsetzen«, sagte sie bittend und nachdrücklich zugleich, »du mußt!«

  Sie stellte sich an die Tür und versperrte ihm den Weg. Mark sah sie an und senkte den Blick. »Ich werde mein Möglichstes tun.« HUNGERSTREIK: 35 STUNDEN

  Vor den Gebäuden der englischen Botschaft in Paris und Rom erschienen wütende Demonstranten. Erregte Sprechchöre und große Spruchbänder forderten die Freigabe der Exodus. In Paris mußte die Polizei mit Gummiknüppeln und Tränengas gegen die erregte Menge vorgehen. In Kopenhagen, in Stockholm, in Brüssel und Den Haag fanden gleichfalls Demonstrationen statt. Diese waren gemäßigter.

  HUNGERSTREIK: 38 STUNDEN

  In Zypern wurde aus Protest gegen die Engländer der Generalstreik erklärt. Der Verkehr stand still, die Läden wurden geschlossen. In den Häfen ruhte die Arbeit. Theater und Restaurants waren leer.

  HUNGERSTREIK: 40 STUNDEN

  Ari ben Kanaan stand vor seinen Untergebenen und Mitarbeitern. Er sah in die verdüsterten Gesichter von Joab, David, Seew und Hank Schlosberg.

  Seew, der Farmer aus Galiläa, sprach als erster. »Ich bin Soldat«, sagte er. »Ich kann nicht dabeistehen und zusehen, wie Kinder verhungern.«

  »In Palästina«, erwiderte Ari heftig, »kämpfen junge Menschen, die nicht älter sind als diese hier, bereits als Gadna-Soldaten.«

  »Kämpfen und Verhungern ist zweierlei.«

  »Das hier ist nur eine andere Form des Kampfes«, sagte Ari. Joab Yarkoni hatte viele Jahre lang mit Ari zusammengearbeitet und war gemeinsam mit ihm im zweiten Weltkrieg Soldat gewesen. »Du weißt, Ari«, sagte er, »daß ich immer zu dir gehalten habe. Aber in dem Augenblick, wo eines dieser Kinder stirbt, wird die ganze Sache zwangsläufig zu einem Bumerang, der auf uns zurückfällt.«